KRESSIN UND DIE ZWEI DAMEN AUS JADE - Rolf von Sydow

Sexwellen, Kriminalspaß und andere Krautploitation.
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Prisma
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KRESSIN UND DIE ZWEI DAMEN AUS JADE - Rolf von Sydow

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● FOLGE 31: TATORT - KRESSIN UND DIE ZWEI DAMEN AUS JADE (D|1973)
mit Sieghardt Rupp, Hermann Lenschau, Dieter Eppler, Manfred Heidmann, Norbert Hansing und Ivan Desny
Gäste: Krista Keller, Francisca Tu, Ilona Grübel, Ernst Fritz Fürbringer, Gert Haucke, Hans Hass jr., Peter Neusser, u.a.
eine Gemeinschaftsproduktion der ARD | mit dem O.R.F | eine Sendung des WDR
Regie: Rolf von Sydow

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»Es wäre mir auch höchst peinlich, Ihre Erwartungen zu erfüllen!«


Gerade mit einer Maschine aus Istanbul eingetroffen, wartet Zolloberinspektor Kressin (Sieghardt Rupp) auf sein Gepäck. Zu jedermanns Entsetzen befindet sich auf dem Band jedoch ein Toter. Der Ermordete namens Bender (Hans Hass jr.) befand sich in der gleichen Maschine, genau wie die attraktive Lyn (Francisca Tu), Kressins Sitznachbarin aus dem Flugzeug, die nach dem Zwischenfall aber plötzlich spurlos verschwunden ist. Bei dem Toten findet die Polizei einen Koffer, in dem sich die hohe Summe von 350.000 D-Mark befindet. Kressin geht davon aus, dass es sich um einem Fall für sein Ressort handeln dürfte, kommt dabei allerdings der Mordkommission ins Gehege...

Zwischen 1971 und 1973 brachte es Zolloberinspektor Kressin auf sieben Einsätze in der beliebten "Tatort"-Reihe und es ist nicht zuletzt Sieghardt Rupps völlig unkonventioneller Art zu verdanken, dass es bis heute stets ein Vergnügen ist, ihm bei seinen teils fragwürdigen Methoden zuzuschauen. Verfolgt man die Serie stetig, wird die Wahrscheinlichkeit bei Kressins letztem Fall wohl sehr hoch sein, auch hier mit seinem Dauerrivalen, dem kriminellen Gentleman Sievers konfrontiert zu werden, aber es gab in so vielen unterschiedlichen Fällen auch andere ernstzunehmende Widersacher. Bei Kressins beinahe chauvinistischem und bestenfalls smartem Hang im Umgang mit dem sogenannten schwachen Geschlecht kann das Publikum auf eine lange Liste von Damen zurückblicken, die ihm wie auch immer zu schaffen machten, auch wenn sich am Ende herausgestellt hat, dass er einfach alle schafft, egal au welchem Blickwinkel man die Angelegenheiten betrachtet. Ob Sabine Sinjen oder Eva Renzi, Heidi Stroh und Brigitte Skay, Kerstin de Ahna, Uta Levka, Katrin Schaake oder Stéphane Audran; sie alle waren auf ihre Art und Weise hilfreiche Zubringer, attraktive Staffage oder eine große Behinderung bei den Ermittlungen. Der Titel "Kressin und die zwei Damen aus Jade" kündigt zwar direkt feminine Fragestellungen und schwierig zu lösende Probleme an, doch bei einem Blick auf den Cast fällt dem Zuschauer gleich eine beinahe unbezwingbare Endgegnerin auf: Krista Keller. Bereits im Vorfeld stellt sich aufgrund zahlreicher Vergleichsmöglichkeiten und wahrhaft unberechenbarer Expertisen die spannende Frage, ob der Zollfahnder nicht erstmals auf Granit oder besser gesagt Jade beißen wird. Zur allgemeinen Verwunderung erlebt man die von Keller dargestellte Millionärin Mona Capell in kultivierter Zurückhaltung und fast gelangweilter Anteilnahme, was nicht zuletzt deswegen auffällig ist, da ihr jüngerer Liebhaber immerhin einem Mord zum Opfer gefallen ist.

Die Inszenierung macht sich eines gerne verwendeten Filmklischees habhaft, denn der Mörder platziert die Leiche als Demonstration auf dem Gepäckband am Flughafen, um all diejenigen zu warnen, die es etwas angeht. Obwohl das Ambiente Flughafen klassische Vergehen für den Zoll hergeben würden, hat man es zunächst mit einem Mordfall und einem Toten zu tun, der zwar schnell identifiziert ist, aber dennoch aus dem Nichts auftaucht. Also handelt es sich auch nicht um Kressins Zuständigkeitsbereich, der aber aufgrund seines unwiderstehlichen Charmes und seiner Spürnase in diesen Fall hinein gezogen wird, oder umgekehrt. Er heftet sich an die Geliebte des Ermordeten, die wie versteinert am Ort des Geschehens zu finden war, und man kommt ins Gespräch, das sich nie wie ein richtiges Verhör entwickelt, sondern eher wie eine Sitzung beim Psychiater. Mona Capell hat nach eigenen Angaben Angst, alleine zu sein, sodass sie und Kressin sich immer wieder über den Weg laufen. Dies geschieht sehr zum Unmut der ermittelnden Kollegen der Mordkommission, die alleine durch dessen Anwesenheit aussieht, als sei der Lack schon seit Ewigkeiten ab. Da der Zollfahnder auch stets einen entscheidenden Schritt bei den Ermittlungen voraus ist, lässt er seine Kollegen inkompetent aussehen, obwohl es für lange Zeit keine klare Sicht im Nebel der Geschichte gibt. Der Mann vom Zoll setzt auf die Damen dieses Schachspiels und bekommt es ausschließlich mit betont unscheinbaren Kontrahentinnen zu tun, von denen man nicht einmal weiß, ob sie überhaupt welche sind, oder werden. Krista Keller arbeitet förmlich in Mitleid erregender Art und Weise heraus, dass ihr Leben sie völlig langweilt und sie nicht weiß, wohin mit all ihrem Geld. Da klagende Millionärinnen naturgemäß Misstrauen erwecken, blickt man skeptisch auf diese Dame, die sich trotz allem bemerkenswert gut im Griff zu haben scheint. In die Riege der undurchsichtigen Damen reihen sich Francisca Tu und Ilona Grübel ein.

Die geballte Weiblichkeit wirkt wie eine unüberwindbare Wand, zumal man jeden der völlig unterschiedlichen Charaktere nicht zu packen bekommt und alle scheinbar nichts miteinander zu tun haben; zu groß sind die gesellschaftlichen und kulturellen Unterschiede. Es ist alleine Kressins Hartnäckigkeit zu verdanken, dass der Zuschauer mit lösenden Informationen in einem Fall versorgt wird, der eigentlich über die komplette Spielzeit zaghaft und vage wirkt. Doch die Kräfte sammeln sich unter Rolf von Sydows routinierter Regie und cleverer Handhabe, die zunächst wie ein Schnipsel-Sammelsurium wirkende Geschichte auf einen gemeinsamen Nenner bringen zu können, sodass die Überraschungsmomente noch deutlicher anerkannt werden, als vielleicht üblich. "Kressin und die zwei Damen aus Jade" ist und bleibt vielleicht kein Klassiker oder Überflieger der unausschöpflich wirkenden Reihe, punktet jedoch durch einen intelligenten Aufbau, dem ein paar mehr Tropfen Blut vielleicht ganz gut getan hätten. Schade ist und bleibt, dass es sich bereits um den letzten Fall des unkonventionellen Zolloberinspektors handelt, der immer für gewisse Farbtupfer gut war, die andere nicht so hätten zeichnen können. Bei der Erstausstrahlung erreichte dieser letzte Kressin-Fall übrigens gute 59% Marktanteil, auch wenn die Rolle der Polizei hier besonders untergeordnet erscheint und sie nicht maßgeblich zur Lösung aller Probleme beitragen kann. Kressin hingegen betreibt im Verlauf lange Zeit nur Schattenboxen, denn die Gegner sind unbekannt, wenn auch vorhanden, aber es handelt sich um ein in 1000 Stücke zerfallenes Mosaik, das erst in Kleinstarbeit zusammengesetzt werden muss. Am Ende kristallisiert sich speziell für eine Abschlussfolge Resignation heraus, sogar ein kleines bisschen Sentimentalität, aber der Wendung nach tut jeder Abschied irgendwie weh. Es bleibt ein kognitiver und zurückhaltender "Tatort" mit intelligenter Inszenierung, dessen Entourage die Kirsche auf der Torte darstellt.

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