DIE KONSEQUENZ - Wolfgang Petersen

Sexwellen, Kriminalspaß und andere Krautploitation.
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Prisma
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DIE KONSEQUENZ - Wolfgang Petersen

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Jürgen Prochnow   Ernst Hannawald

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● DIE KONSEQUENZ (D|1977)
mit Walo Lüönd, Edith Volkmann, Erwin Kohlund, Werner Schwuchow, Hans-Michael Rehberg, Alexis von Hagemeister, u.a.
eine Solaris Produktion | WDR | im Interat Filmverleih
ein Film von Wolfgang Petersen

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»Ich habe lange überlegt, was eigentlich Liebe ist...«


Der Schauspieler Martin Kurath (Jürgen Prochnow) muss eine Gefängnisstrafe absitzen, da er eine Beziehung zu einem minderjährigen Jugendlichen gehabt hat. Bei einer Theatervorstellung im Knast lernt er den 16jährigen Thomas (Ernst Hannawald), den Sohn des Schließers Manzoni (Walo Lüönd) kennen. Der junge Mann ist unzufrieden mit seinem Leben, da er von seinem Vater in vorgegebene Gesellschaftsschablonen gesteckt wird. So muss er die von ihm beschlossene Ausbildung als Verkäufer absolvieren oder hat sich beispielsweise nicht mit einem vorbestraften Homosexuellen abzugeben. Doch der junge Mann fühlt sich in völliger Klarheit über seine Gefühle zu Kurath hingezogen. Es beginnt eine leidenschaftliche Beziehung, doch die beiden Männer waren sich nicht im Klaren darüber, welcher Alptraum auf sie zukommt...

Tastet man sich vorsichtig am unscheinbar klingenden Titel von Wolfgang Petersens Film entlang, der nach dem Bestseller von Alexander Ziegler entstand und mit dem Prädikat "wertvoll" ausgezeichnet wurde, wird man unausweichlich auf dünnes Eis geführt, denn die hier angekündigte Konsequenz wird vielleicht naturgemäß erst einmal so gedeutet, dass sie die Folge einer eindeutigen Provokation ist. Vielleicht ist es im Endeffekt auch so, da die Masse ihre roten Linien stets zeichnet, aber dennoch blieben Warnungen unausgesprochen. Die beiden Protagonisten finden sich in einem Liebes-Alptraum wieder, der von gesellschaftlichen und zeitbezogenen Gegebenheiten und den entsprechenden Personen und Ansichten choreografiert, oder besser gesagt diktiert wird. Gerade der Ältere von beiden hat es sich aufgrund seiner Erfahrung und Verurteilung schlimm vorgestellt, und doch reichte die destruktive Fantasie nicht aus, um das auszumalen, was auf das Paar zukommen sollte, welches einfach nur in Ruhe gelassen werden wollte. Petersen kennt trotz optimistischer Momente und Phasen des vermeintlichen Glücks keine Gnade mit seinem Publikum, welches sich - je nachdem - trotz eindeutiger Bildeindrücke und Impulse dennoch in Fraktionen aufteilen dürfte. Produziert von Bernd Eichinger, und in seiner ursprünglichen Fassung als zu brisant eingestuft, daher von der Zensur gekürzt, außerdem vom Bayrischen Rundfunk für die bevorstehende Ausstrahlung boykottiert, überzeugt der Film mit einer Schwarzweiß-Fotografie, die förmlich Gedanken übertragen kann. Das Arrangement und Setting ist unaufgeregt, im Gegensatz zu den Haupt- und Nebencharakteren; Frauen spielen hier nur die eine Rolle, nämlich keine. Interessant bleibt der Ansatz, dass die Figuren auf keiner Seite für sich werben, es daher zu keinen angebrachten oder unangebrachten Plädoyers kommen kann, allerdings will der Zuschauer - erneut und je nachdem - gewisse Personen auf dem Scheiterhaufen sehen. Wolfgang Petersen und die Gesellschaft lassen einen alleine. Jeden sozusagen, denn nur so kann es zur anvisierten Reflexion kommen.

Was seinerzeit noch wie ein "Leben und Sterben lassen" aussehen musste, sollte sich für heutige Begriffe grundlegend in ein "Leben und Leben lassen" geändert haben - so hofft man zumindest. Als Kurath gleich zu Beginn verurteilt wird, geschieht dies innerhalb der damaligen Rechtsauffassung und bietet wegen vieler anderer hier prominent in Szene gesetzten Themen nicht die große Angriffsfläche. Der Verbleib und der Umgang mit ausgemusterten Menschen wird schließlich zum Spiegelbild einer gesellschaftlichen Norm, deren Überforderung häufig in Aggressivität, Hass, Angst oder simplen Gruppenzwang ausartet. Um die Brisanz der Beziehung noch prominenter erscheinen zu lassen, ist es hier nicht der verurteilte Inzuchtler, der die größten Hiebe abbekommt, sondern derjenige, der sich erst auf dem Weg in das leider kollektiv empfundene Verderben befindet. Dieser ist nicht nur unwegsam und steinig, sondern wird in einer Unerträglichkeit gezeichnet, die ernsthaft bestürzt. Diese tieftraurige Aura der Geschichte wird sich mit allerlei Widerwärtigkeiten kreuzen, die eben nicht von den angeprangerten Homosexuellen ausgehen, sondern vom Meinungskollektiv und dessen emsigsten Schergen, die sich für normal halten. Psychogramme, Gruppendynamiken und gesellschaftliche Selbsterhaltungspraktiken unter dem Seziermesser tun meistens weh, so auch hier. Alles beginnt so unschuldig oder vielmehr aufrichtig, bis die Zerstörungswut von Thomas' Vater an Dominanz gewinnt. Hervorragend von Walo Lüönd dargestellt, bleibt gerade deswegen nur Kopfschütteln übrig, weil er sein eigenes Kind zur Schlachtbank führen lässt. Man möchte ihm ein mangelndes vorausschauendes Denken und fehlendes Fingerspitzengefühl sowie Kalkül vorwerfen, doch der alte Manzoni besitzt erschreckend viel vom Gegenteil, sodass man sich noch vor dem Gerichtsurteil gedanklich über den weiteren Verbleib seines Sohnes auf das Schlimmste gefasst macht. Nachdenklich stimmende Szenen und Aussagen aus der Gosse, verzweifelte Versuche der Wehr und harte Cuts mit Familienbanden zeichnen die logische Konsequenz, die nackt und klar auf der Hand liegt.

Plötzlich werden gesellschaftlich verankerte Selbstverständlichkeiten zu unerreichbaren Privilegien, Hinz und Kunz dürfen das anders denkende Gemüt bearbeiten und brechen. Zu diesem Zweck befindet man sich auch als Zuschauer lange Zeit in einer sogenannten Besserungsanstalt - als innocent bystander sozusagen, der machtlos bleibt, aber nicht unparteiisch, schließlich geschehen grausame Dinge vor aller Augen. Wolfgang Petersen setzt auf verstörende Szenen die bis ins Off gehen, ihre Wirkung aber nicht verfehlen. Aus Jungen, die falsche Wege eingeschlagen haben, sollen unsentimentale Männer gemacht werden, die den Gehorsam schätzen und Befehle vor Schwächeren und Frauen zu geben wissen. Es gibt Strafmaßnahmen, die die einem Straflager ähnelnde Einrichtung ad absurdum führen. Um die Jungs bei Laune zu halten, gestattet ihr sadistischer Aufseher Besuche bei Babette, ein offensichtlich oligophrenes Mädchen, bei dem jeder mal ran und rein darf. Sogar im Akkord. Thomas soll umgestrickt werden, also - so die These - wird ihn ein Ritt mit der Nutte, die es just for fun tut, schon kurieren. Jeder muss viel aushalten, was die Qualität dieses Films aber nur unterstreichen will. Die außergewöhnlichen Darbietungen von Jürgen Prochnow und insbesondere Ernst Hannawald wirken nahezu episch, aber genauso aufwühlend und herausfordernd. Im Zusammenspiel entsteht eine Intimität und Zuneigung, ein blindes Verstehen; so, als ob diese Voraussetzungen für jede Beziehung perfekt wären. Leider macht die allgegenwärtige Konsequenz das Leben zu zweit zunichte, die übrigens jeden der Beteiligten heimsuchen wird. "Die Konsequenz" wirkt wie ein Kunstwerk ohne materiellen Wert, ein Schrei, den niemand hören kann oder will, ein Plädoyer, welches vordergründig zur Kenntnis genommen und abgenickt, hintergründig aber abgelehnt wird. Mit der Suche nach Schuld hat der Verlauf erstaunlicherweise wenig zu tun, um glaubhaft zu bleiben und sich möglicherweise in die Riege der wohl aufrichtigsten Liebesgeschichten und Romanzen einzureihen, die die deutsche Kinoleinwand je gesehen hätte, wenn die Realität nicht unerbittlich auf ihrer Existenzberechtigung bestehen würde.

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