ABARTEN DER KÖRPERLICHEN LIEBE - Franz Marischka

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Prisma
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ABARTEN DER KÖRPERLICHEN LIEBE - Franz Marischka

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ABARTEN DER KÖRPERLICHEN LIEBE


● ABARTEN DER KÖRPERLICHEN LIEBE (D|1970)
mit Christine Schuberth, Carmen Jäckel, Doris Arden, Gideon von Kettner, Evelyn Döring, Eva Astor und Walter Fein
ein Gopa Film | im Im Gloria Verleih
ein Film von Franz Marischka

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»Ein Mann der sein Glied zeigt ist seelisch krank!«


Der Universitätsprofessor Fritz Leist stellt einige Versionen der körperlichen Liebe vor, die angeblich als abartig eingestuft werden könnten, wobei er mit seinen Erläuterungen relativierend eingreift. Er kommentiert folgende Beispiele: Die sexuelle Ausrichtung zweier lesbischer Frauen begründet sich darin, das eine von ihnen von ihrem eigenen Vater missbraucht, die andere als Mädchen von einem Exhibitionisten belästigt wurde. Ein Junge bekommt von seiner Mutter stets die kalte Schulter gezeigt, während seine Tante ihn liebevoll behandelte. Daraus ergibt sich sein Faible für Frauenkleidung. Ein verheirateter Mann verheimlicht sein Doppelleben vor seiner Ehefrau, für die er kein sexuelles Interesse entwickeln kann, bis er seinen homosexuellen Neigungen nachgibt. Ein Junge wurde von seiner Mutter und Lehrern misshandelt und entwickelt als Erwachsener einen Hang zum Sadomasochismus...

»Gewiss werden wir manches sehen, das wir nicht ohne Weiteres verstehen.« Diese vollmundige und nahezu verheißungsvoll klingende Ankündigung der wissenschaftlichen Beratung durch Professor Fritz Leist, der seine Erklärungen trocken und sachlich aus dem Off und manchmal im Bild beisteuert, macht das Publikum nicht zuletzt wegen des vollkommen reißerisch und unberechenbar klingenden Titels ohne jeden Zweifel neugierig. Was wird man in diesem von Franz Marischka inszenierten Aufklärungsfilm zu sehen bekommen? Szenen, die die Grenzen der Vorstellungskraft sprengen, Bilder, die einem den Verstand stilllegen oder so widerlich sind, dass man es kaum fassen kann? Kapitel 1 fährt mit dem Titel "Lesbische Liebe" bereits äußerst schwere, nämlich gar keine ungewöhnlichen Geschütze auf, sodass man sich beim Anschauen besser an seine Sitzgelegenheit gurten sollte. Wenn man den Spaß beiseite lässt, kommt man aus dem Staunen und Gähnen nicht mehr heraus. Natürlich muss das Dargebotene in der zeitlichen Relation gesehen werden, so sagt man zumindest, aber hier werden derartig plumpe Assoziationen zutage gelegt, dass eine Kettenreaktion der Klischees ausgelöst wird, welche weit hinter denen des Produktionsjahrs hinterher hinken. Die »lesbische Frau« liegt splitterfasernackt im Bett, bis sie von ihrem Alten angetatscht wird, ergo fühlt sie sich vom männlichen Geschlecht abgestoßen und folgerichtig zu Frauen, beziehungsweise Erotik-Expertin Christine Schuberth hingezogen. Wurde sie erst lesbisch oder war sie es schon vorher? Noch Fragen? Derartige eklatante Erklärungsnöte wird es hier in Hülle und Fülle geben, sodass man sich schnell auf die visuelle Seite dieses Filmchens schlagen sollte, denn hier kommt es zu seltenen Angeboten, die insbesondere von den teils prominenten Erotik-Sternchen performt werden. Leider wird man beim eiskalten Liebesspiel zwischen Schuberth und Jäckel immer wieder von wie in Stein gemeißelt wirkenden wissenschaftlichen Phasen gestört, sodass es schwierig ist, den platten und völlig gestelzt wirkenden Dialogen zu folgen.

Prophezeite Abarten bekommt man hier übrigens keine geboten, denn Christine Schuberth treibts lediglich mit ihrem Aufriss aus der Bar, und nicht mit etwa Tieren oder beispielsweise Verwandten. Was folgt, sind weitere Stationen im trockenen Dokumentarstil, der sich in teils abwegigen Kombinationen verlieren und der Eindimensionalität neue Gesichter verleihen wird. Regisseur Franz Marischka inszeniert derweil so, wie man es eigentlich von ihm gewöhnt ist, sodass man von dieser Seite wenigstens mit sehr schönem Zeit- und Lokalkolorit versorgt wird, außerdem mit einer schmissigen musikalischen Untermalung, bis wieder die Erklärungen aus dem Off folgen, die sich vom Tonfall her auch auf einer Beerdigung wohlgefühlt hätten. "Der Transvestit" stellt die nächste Station in dieser thematisch ausgrenzenden und isoliert erscheinenden Veranstaltung dar, und es ist schon klar, dass Themen behandelt werden, die eine gesellschaftliche Akzeptanz vermissen ließen und dies wohl bis heute tun. Dennoch wird auch hier wieder derartig hölzern agiert, pseudo-erklärt und schwach inszeniert, dass der Film leider droht, langweilig, völlig uninteressant und in seiner Expertise fadenscheinig zu werden, da die Analysen insbesondere für heutige Verhältnisse nur noch schwer zu über- oder ertragen sind. Was folgt sind die Episoden "Die Homosexuellen", die laut Universitätsprofessor zwar nicht anormal seien, aber sich angeblich mit einer seelischen Krankheit herumquälen, und "Sadismus, Masochismus und seelische Erniedrigung". Erwähnenswert ist, dass es insbesondere in den letzten beiden Episoden zu ungewöhnlich expliziten Veranschaulichungen kommt, die in dieser Dekade nicht gerade üblich waren, beziehungsweise gemieden wurden. "Abarten der körperlichen Liebe" wirkt aufgrund der thematischen Auswahl schlussendlich nur vordergründig bemüht, scheitert an Ungenauigkeiten und ungeheuerlichen Pauschalisierungen, die gerade jetzt weniger für Furore als Kopfschütteln sorgen. Im Dunstkreis der gängigen Aufklärungsfilme lassen sich definitiv Konkurrenten ausfindig machen, an denen sich die jeweilige Regie besser abarbeiten konnte.

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