DIE STIMME DES ANDEREN - Erich Engel

Sexwellen, Kriminalspaß und andere Krautploitation.
Antworten
Percy Lister
Beiträge: 348
Registriert: Sa., 14.11.2020 16:15

DIE STIMME DES ANDEREN - Erich Engel

Beitrag von Percy Lister »

"Die Stimme des Anderen" (Deutschland 1952)
mit: Michel Auclair, Hanna Rucker, Ernst Schröder, Gisela Trowe, René Deltgen, Carl-Heinz Schroth, Inge Meysel, Joseph Offenbach, Carl Voscherau, Willy Maertens, Marga Maasberg, Katharina Brauren, Tilla Hohmann, Günther Jerschke, Gerda-Maria Jürgens, Alexander Hunzinger u.a. | Drehbuch: Robert A. Stemmle nach dem Roman "Die Stimme des Mörders" von Robert Gilbert | Regie: Erich Engel

Der Komponist Fred Apel hat die junge Sängerin Elisa, die in seiner neuen Revue "Großstadtnächte" die Hauptrolle spielt, zu einem romantischen Abendessen zu sich eingeladen. Nach anfänglichem Zögern fährt Elisa mit einem Taxi zu dem Mann, den sie sowohl anziehend, als auch einschüchternd findet. Apel liegt tot in seinem Wohnzimmer, offensichtlich starb er eines gewaltsamen Todes. Elisa flieht zu Herrn und Frau Braun, die "Großstadtnächte" produzieren und sich mehr um die Zukunft des Stückes sorgen als um die Frage, wer für den Tod des Musikers verantwortlich ist. Als Kommissar Dr. Hennings die Ermittlungen aufnimmt, gelangt Herr Braun in den Besitz des letzten Tonbandes, das Fred Apel unmittelbar vor seinem Tod aufgenommen hat. Was er und seine Frau zu hören bekommen, bringt sie in Gewissenskonflikte....

Bild Bild Bild
Die Real-Film-Produktion nahm 1952 als deutscher Beitrag bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes teil, was sogar der kritische "SPIEGEL" goutierte. Nachdem der Film bei seiner Uraufführung vom Publikum sehr verhalten aufgenommen wurde, versuchte man, dem Erfolg durch eine Änderung des Titels auf die Sprünge zu helfen und schickte ihn als "Unter den tausend Laternen" ins Rennen, was jedoch ohne kommerzielle Wirkung blieb. Unter Umständen lässt sich der mangelnde Bekanntheitsgrad der Produktion damit erklären, dass die beiden Hauptrollen mit dem Franzosen Michel Auclair und der deutschen Schauspielerin Hanna Rucker besetzt wurden, die bereits vier Jahre später ihre Filmlaufbahn beendete. "Die Stimme des Anderen" ist von der Frage nach der Schuld durchzogen, wobei jede der Figuren einen Teil auf sich geladen hat und es deshalb zu einer unausgesprochenen Solidarisierung gegen das Mordopfer kommt. Der Verbund der Hinterbliebenen sucht den Täter in ihren Reihen, weswegen der Rolle des Kriminalkommissars weniger Beachtung zukommt, als dies im Normalfall üblich ist. Umso mehr drängen jene in den Vordergrund, deren unabdingbarer Wille zur Vertuschung der Wahrheit eine Eigendynamik entwickelt, die den Verlauf spannend bleiben lässt, auch, wenn die Liebesgeschichte für melodramatische Momente sorgt.

Ernst Schröder und Gisela Trowe bilden den nüchternen Gegenentwurf zum romantischen Paar Michel Auclair und Hanna Rucker. Ihre Ehe verfolgt konkrete (ökonomische) Ziele und ihr gemeinsamer Blick ist darauf gerichtet, sich Schwierigkeiten fern zu halten und ihrem Leben weiterhin jene Annehmlichkeiten zu ermöglichen, die ein geregeltes finanzielles Einkommen mit sich bringt. Sie haben die Phase der schüchternen Annäherung und des zarten Mitgefühls, in der das neue Paar Michel und Elisa seinen Empfindungen Ausdruck verleiht, längst überwunden und verbünden sich vor allem gegen jene, die ihren Wohlstand ins Wanken bringen könnten. Vor allem Ernst Schröder spielt gewohnt dominant und beharrlich auf. Er maßt sich nicht nur an, Indizienbeweise zum eigenen Vorteil zu verwenden, sondern spielt sogar Schicksal, was kein gutes Licht auf die Funktion des Polizeiermittlers wirft, der in René Deltgen einen markanten Vertreter des Genres findet, der jedoch weitgehend an den Rand der Handlung gedrängt wird. Das Charisma des Schauspielers bleibt überwiegend ungenutzt und erhält seinen entscheidenden Auftritt erst im Finale der Geschichte, das jedoch emotional so aufgeladen ist, dass Deltgen mehr als wohlmeinender Erzähler auftritt, statt den Erfolg der Untersuchungen auf seine Person zu münzen.

Der Zuschauer findet sich in einer dichten Atmosphäre von Drama und Tragik, die von den Spielarten der Liebe erzählt, die für mannigfaches Bangen und Hoffen sorgen, was dem Kriminalfilm einen französischen Touch verleiht. Die Diskrepanz zwischen dem Paar Rucker/Auclair und den Eheleuten Schröder/Trowe lässt die Handlung zwischen Traum und Wirklichkeit pendeln, wobei das Gefühl des Publikums immer wieder durch die Musik gewonnen werden soll, die eine wichtige Schlüsselfunktion übernimmt. Der Handlungsaufbau ist unkonventionell und bietet eine interessante Abwechslung zu dem klassischen Strickmuster späterer Produktionen, die sich mit Verhören und Analysen befassen. Die vielen Großaufnahmen der Gesichter zeigen, dass die Frage nach der Aufklärung des Todesfalles für mehrere Menschen von essentieller Bedeutung sein wird, weil sich Existenzen daran knüpfen, die über den finanziellen Faktor hinausgehen. Der erfahrene Regisseur Erich Engel legt einen stillen Kriminalfilm vor, dessen Aussagekraft in den Momenten angeblicher Belanglosigkeit für nachhaltige Noir-Effekte sorgt und den Fokus auf den Menschen und nicht auf seine Taten legt. Das in Vergessenheit geratene Drama verlangt nach einem Publikum, das die Vorhänge zuzieht und sich auf den sentimentalen Gehalt der Geschichte unvoreingenommen einlässt.

Antworten