STRANDGUT - Wolfgang Petersen

Sexwellen, Kriminalspaß und andere Krautploitation.
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Prisma
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STRANDGUT - Wolfgang Petersen

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● FOLGE 19: TATORT - STRANDGUT (D|1972)
mit Klaus Schwarzkopf, Wolf Roth, Fritz Hollenbeck, Volker Bogdan, Georg Eilert und Klaus Höhne
Gäste: Ingeborg Schöner, Wolfgang Kieling, Heidy Bohlen, Rolf Zacher, Dieter Kirchlechner, Ulrich Matschoss, Reent Reins, u.a.
eine Gemeinschaftsproduktion der ARD | mit dem O.R.F | eine Sendung des NDR
Regie: Wolfgang Petersen

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»Arbeit ist nie schön!«


Auf Sylt betreiben die Brüder Helmut und Karli Possky (Dieter Kirchlechner und Rolf Zacher) ein sehr lukratives Geschäft, indem sie solvente Herren in ihrem Urlaub erpressen. Zu diesem Zweck setzen sie die beiden attraktiven Damen Christa (Heidy Bohlen) und Manuela (Ingeborg Schöner) auf lohnende Objekte an, um in eindeutigen Situationen kompromittierende Fotos zu schießen. Als sich Christa mit dem angehenden Staatssekretär Warrlau (Ulrich Matschoss) einlässt, sich aber in ihn verliebt, beschließt sie, sehr zum Unmut der beiden Brüder aus dem Geschäft auszusteigen, zumal Manuela sich mit dem selben Gedanken trägt, da sie mittlerweile mit dem Arzt Dr. Kühne (Wolfgang Kieling) liiert ist. In der Zwischenzeit reist Kommissar Finke (Klaus Schwarzkopf) mit seinem Assistenten Jessner (Wolf Roth) nach Sylt, um die Erpressungsserie aufzudecken. Als nach einem Discobesuch auch noch die Leiche von Christa am Strand angespült wird, beißen sie bei den ohnehin schon schwierigen Befragungen endgültig auf Granit...

Wolfgang Petersen inszenierte in den Jahren 1971 bis 1977 sechs "Tatort"-Fälle, die mir seinem Klassiker "Reifezeugnis" ihren Abschluss fanden. Der Kommissar-Finke-Fall "Strandgut" war bereits der zweite Beitrag des Emdener Regisseurs und kann zunächst mit dem herrlichen Schauplatz Sylt auftrumpfen, der in dieser neunzehnten Episode nicht nur für Nötigung und Erpressung, sondern auch für Mord dienen wird. Der Einstieg wird mit der klassisch gefärbten und trügerisch-einladenden Musik von Nils Sustrate geebnet, man sieht den Tatort Strand und die Wellen des Meeres, die verheißungsvoll das repräsentieren, was in diesem teilweise kraftvollen Verlauf alles noch zutage gebracht werden soll. Das Thema wird schnell durch zwei vermeintliche Voyeure eingeleitet, die sich in den Dünen verbergen, um eine pikante Situation im Bilde festzuhalten, die allerdings selbst von ihnen konstruiert wurde. Die Bildgewalt entsteht nicht nur durch das besondere Setting, sondern vor allem durch die atemberaubende Heidy Bohlen, die wie so oft ohne Textilien auszukommen hatte, um ihre Strandgüter präsentieren zu können. Petersen gelingt es trotz der Zurschaustellung dieser Angelegenheit blendend, eine gewisse Intimität und Ruhe zu vermitteln. Hinzu kommt, dass in dieser dennoch überaus exponierten Situation nahezu spürbare Eindrücke zu greifen beginnen, die für Atmosphäre sorgen. Man hört den Wind rauschen, glaubt ihn beinahe spüren zu können, und diese charakteristische Geräuschkulisse wird lediglich durch die beiden Fotografen gestört, die hin und wieder fluchen, wenn ihr Lockvogel das Bild verdeckt. Die Kamera gewährt insgesamt eine bemerkenswerte Nähe, vor allem im Zusammenhang mit Heidy Bohlen. Der Dialog mit ihrem wesentlich älteren Liebhaber diktiert eine nervöse Marschroute, die von Besorgnis und Angst durchzogen ist und bereits nach kürzester Zeit ahnt man nichts Gutes.

In der Anfangsphase wird man daher Zeuge eines recht straffen Tempos, bis es zu den Nachforschungen durch Kommissar Finke und seinen Assistenten Jessner kommt. Die Inszenierung erlaubt sich den Luxus der breit gefächerten Ermittlungsarbeit, die auch den Löwenanteil dieser Folge mit überdurchschnittlicher Länge ausmachen wird. Es ist daher nicht zu leugnen, dass sich gewisse ruhigere Phasen in diesem bewusst detaillierten Verlauf breit machen, der phasenweise etwas zu behäbig im Erzählfluss wirkt, jedoch die Aufmerksamkeit mit gelungenen Ergebnissen und Kehrtwendungen immer wieder forcieren kann. Hierzu trägt zunächst weniger der Kriminalfall, als der Kreis der Schauspieler bei, der durch die Bank mit dynamischen Leistungen überzeugen kann. Klaus Schwarzkopf als Kommissar vermittelt eine Ruhe und Besonnenheit, die in wichtigen Situationen allerdings auch dominante Formen annehmen kann. Wolf Roth als seine rechte Hand wirkt wie das eigentliche Pendant zu ihm, als welches er sich vermutlich mit viel diplomatischen Verstand an die Bedürfnisse seines Chefs angepasst hat. Da beide diese Episode so gut wie tragen werden, ist es als Glücksfall zu bezeichnen, dass dieses Duo so gut miteinander harmoniert und schließlich auch unter allen Umständen funktioniert, denn die darstellerischen Leistungen offerieren Finessen und Fingerspitzengefühl. Als weiteres erwähnenswertes Gespann verfolgt man Rolf Zacher und Dieter Kirchlechner mit kritischem Auge, denn beide geben den schmierigen Kleinkriminellen mit der lukrativen Geschäftsidee die passenden Gesichter. Wolfgang Kieling und Klaus Höhne erfreuen ebenfalls mit Interpretationen des gehobeneren Niveaus und überhaupt stellt "Strandgut" einen der frühen Besetzungsknüller der laufenden Serie dar. Die heimlichen Stars der Episode nehmen schlussendlich durch Ingeborg Schöner und Heidy Bohlen Gestalt an, und man sieht Charaktere, die das Schicksal von Tätern und Opfern zugleich teilen.

Die beiden Frauen und attraktiven Zugpferde für Erpressung wollen endgültig aussteigen. Allerdings stellt sich in Windeseile heraus, dass es leichtere Vorhaben gibt. Ingeborg Schöner konnte man vor allem innerhalb dieses Zeitfensters in für sie alternativ angelegten und tiefgründigeren Rollen sehen, was ihre schauspielerischen Fähigkeiten in einem beeindruckenden Licht erscheinen lässt. Heidy Bohlen beobachtet man hingegen sehr interessiert in einer ihrer obligatorischen Rollen, doch auch bei ihr sind deutliche Unterschiede zu vernehmen. Als sie am Strand angespült wird, entstehen ganz bemerkenswerte, beziehungsweise dem Empfinden nach authentische Szenen, da die Wellen die Bewegungen ihres leblosen Körpers choreografieren. Zweifellos sieht man eine von Bohlens bestechendsten Leistungen in ihrer leider so übersichtlichen Filmografie. Das anfängliche Gaunerspiel weicht somit zugunsten der Frage, ob es sich um Mord gehandelt hat oder nicht, und es entstehen interessante Verstrickungen, bei denen man die unterschiedlichsten Personen kennenlernt. Kommissar Finke und Jessner haben ab sofort alle Hände voll zu tun, daher teilt man sich die Arbeit für ein synchrones Ablaufen der Ermittlungen auf. Die unterschiedlichen Richtungen transportieren ein breites Spektrum und die vielen Möglichkeiten der verschiedenen Plot-Fragmente werden in ein überzeugendes Finale münden. Diese späte Twist-an-Twist-Strategie kann sicherlich als etwas zu konstruiert bezeichnet werden, allerdings gibt es auch Überraschungsmomente, die nachhaltig in Erinnerung bleiben, nicht zuletzt aufgrund eines verwirrenden Elements. Insgesamt stellt Wolfgang Petersens "Tatort"-Beitrag einen elegant und sicher inszenierten Kriminalfall mit Weitsicht und Raffinesse dar, der unterhaltend, überraschend und tragisch zugleich wirkt. Die herrliche Kulisse lässt zusätzlich eine bedeutende Atmosphäre entstehen, sodass sich bei diesem Fall abschließend nur sagen lässt, dass er einen kleinen Geheimtipp darstellt.

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