TREFFPUNKT FRIEDHOF - Wolfgang Becker

Sexwellen, Kriminalspaß und andere Krautploitation.
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Prisma
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TREFFPUNKT FRIEDHOF - Wolfgang Becker

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● FOLGE 56: TATORT - TREFFPUNKT FRIEDHOF (D|1975)
mit Hansjörg Felmy, Willy Semmelrogge und Karin Eickelbaum
als Gäste: Krista Keller, Matthias Fuchs, Karl-Maria Schley, Ingrid Capelle, Peter Oehme, Marie-Luise Marjan, Erna Sellmer, u.a.
eine Gemeinschaftsproduktion der ARD | mit dem ORF | eine Sendung des WDR
Regie: Wolfgang Becker

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»Was hab ich denn mit der Polizei zu tun?«


Robert Geffken (Matthias Fuchs) bricht in die Villa des vermögenden Fabrikanten Zangemeister (Peter Oehme) ein. Dabei kommt es zu einem unvorhergesehenen Zwischenfall. Als der bewaffnete Einbrecher auf den Hausbesitzer wartet, wird er von dessen Haushälterin (Erna Sellmer) überrascht, die ihn in ein Gespräch verwickelt, doch anschließend ungewollt getötet wird. Dennoch wartet Geffken auf Zangemeister, um ihm seine Forderung zu unterbreiten: falls er ihm die verlangte Summe von 450.000 DM nicht bezahlt, würde die Familie des Fabrikanten dafür büßen müssen. Zangemeister verständigt daraufhin die Polizei und Hauptkommissar Haferkamp (Hansjörg Felmy) beginnt mit den Ermittlungen in diesem seltsamen Fall. Als er das Umfeld des Erpressten durchleuchtet, führt ihn sein Weg zu einem Mann namens Schassler (Karl Maria Schley), dem Chefkonstrukteur in Zangemeisters Firma. Da sich Schassler einst um genau die gleiche Summe durch seinen Chef betrogen fühlte, scheint der Fall klar zu sein...

Auf den ersten Blick behandelt dieser sechste Fall von Oberkommissar Haferkamp ein anscheinend herkömmliches, bereits dutzendfach dagewesenes Verbrechen, das hier tragischerweise in einem tödlichen Versehen gipfelt. Diese schnell gewonnenen Eindrücke verwerfen sich allerdings schon im ersten Drittel dieser von Routinier Wolfgang Becker inszenierten Folge, denn es kommen Zusammenhänge zum Vorschein, die anscheinend viel zu zügig präsentiert wurden. Erpressung und Mord weichen schließlich den Themen Hass und Terror, was diese Folge mit dem nahezu verheißungsvollen Titel "Treffpunkt Friedhof" noch in einem Duell der Extraklasse gipfeln lässt. Spätestens wenn dem Publikum erstmals das unbändige Epizentrum dieser feinschichtigen Episode in persona von Krista Keller präsentiert wird, sollte klar werden, dass hier alles Mögliche außer normalen Spielregeln zu finden sein dürfte. Interessant ist die von Becker gewählte Doppelstrategie, die diesem Verlauf noch den Hauch eines kleinen Psycho-Thrillers mit ungewissem Ausgang verleihen wird, wofür wie erwähnt die richtige Frau mit von der Partie und ausnahmslos verantwortlich ist: Krista Keller. Obwohl dramaturgisch gesehen scheinbar mit vollkommen offenen Karten gespielt wird, windet sich eine schleichende Hysterie und von Keller selbst erfundene Art der Unberechenbarkeit durch die Geschichte, was hier im Endeffekt den besonderen Reiz ausmacht. Es ist als großes Glück zu bezeichnen, dass die bekannte Bühnenschauspielerin ihre häufig so rücksichtslos wirkende Dominanz ausspielt, um jede ihrer ausgewählten Zielobjekte mit dem Rücken an die Wand zu stellen. Aus einem isoliert ausgeheckten Plan wird im Rahmen einer inszenatorischen Doppelstrategie ein sich verselbstständigender Schleudersitz, da der Initiator die Rechnung ohne seine Wirtin gemacht hat.

Viele Kriminalfilme konnten im Lauf der Jahre aufweisen, dass es trotz aller Planung und diverser günstiger Voraussetzungen schwierig werden sollte, in den Radius des perfekten Verbrechens zu gelangen. Wolfgang Beckers Geschichte läuft in diesem Zusammenhang zwar alles andere als rund, nimmt dann aber Konturen an, die dem Erpresser ziemlich leicht in die Karten spielen, wobei man sich absolut im Klaren darüber sein sollte, dass dies noch nicht alles gewesen sein kann. Am Ende stehen hier tatsächlich immer Krista Kellers unüberwindbar wirkende Widerstände und das Kalkül einer Frau, deren gedankliche Labyrinthe stets zu einem Punkt zulaufen zu scheinen und einer Einbahnstraße in einem undurchsichtigen Tunnel gleichen. Keller versetzt sich tief in ihre Figur der Ellen Schassler hinein und wirkt nach einer kurzen gemäßigten Phase wie der größte Aggressor der Geschichte, wobei ihr Handeln zwar kühl kalkuliert, aber dennoch nicht rational zu sein scheint. Eine von Hansjörg Felmy geführte Folge erfährt naturgemäß eine große Portion Sachlichkeit, wobei er unbändigem Temperament oft etwas ratlos gegenüber zu stehen scheint. Allerdings wecken derartige Hürden und Anwandlungen nicht greifbarer Personen zusätzlich seinen Instinkt und eine erhöhte Wachsamkeit. Der Fall scheint irgendwie reif für den Abschluss zu sein, weil er im Vorfeld genau in eine bestimmte Richtung gedrängt wurde, doch diese Erhebungen reichen dem misstrauisch wirkenden Polizeimann in der Regel nicht aus. Sehr interessante Farbtupfer entstehen im Zusammenspiel mit Karin Eickelbaum, deren Beziehung zu ihm nur auf Basis einer eigenartigen Unverbindlichkeit zu funktionieren scheint, die offenbar nur entstehen konnte, weil es eine Trennung zuließ. Beim gemeinsamen Tête-à-Tête berät man darüber, wie Licht ins Dunkel dieses nicht alltäglichen Falls gebracht werden kann.

Dabei entsteht eine der nettesten Sequenzen der Folge, als beide gemeinsam in einer Bar als verdeckte Ermittler agieren und dabei so tun, als ob sie sich nicht kennen würden. Im Endeffekt werden Haferkamps Erfolgsaussichten jedoch immer wieder durch die Unberechenbarkeit von Krista Kellers abenteuerlichem Roulette gestört, welches zielsicher darauf angelegt ist, ausschließlich ohne Rücksicht auf Verluste funktionieren zu können; den eigenen eingeschlossen. Gerade wenn Frauen hassen werden häufig bestehende Prinzipien oder Gesetze ausgehebelt, und dank Ellens Kamikaze-Aktionen darf man sich auf eine besondere Art des Showdowns gefasst machen, der erfreulicherweise durch dramaturgische und inszenatorische Brillanz für Aufsehen sorgt. Figuren wie Matthias Fuchs als Robert Geffken, der bis zuletzt glaubte, die Katze und nicht die Maus in diesem unerbittlichen Spiel zu sein, wachen irgendwann in Ellens eigens geplantem Alptraum auf, der im Nebel der Verheißung zwar deutliche Richtungsweisungen zulässt, aber unterm Strich nicht greifbar ist. Für Krista Keller scheinen derartige Aufgaben und Darstellungen von lebenden Toten wie eine leichte Fingerübung zu sein. Erneut polarisiert sie mit Ansichten und Taten jenseits der Verständlichkeit, wobei ihre darstellerische Kompetenz in keiner Sekunde zur Debatte steht. Eine großartige Performance zwischen Genie und Wahnsinn. "Treffpunkt Friedhof" vermittelt mithilfe von Wolfgang Beckers intelligenter Regie konträre, sich selbst revidierende Eindrücke und Kehrtwendungen, die zu einem positiven Gesamteindruck verhelfen. Hinzu kommt eine Form der hemmungslosen Destruktivität, die für "Tatort"-Verhältnisse vielleicht nicht gerade an der Tagesordnung gewesen sind. So verlässt sich die Regie unterm Strich nicht nur auf die eigenen Fähigkeiten, sondern gleichzeitig auf die seiner Hauptdarsteller, bei denen es so aussieht, als ob sie oft selbst nicht genau wissen, was als Nächstes zu erwarten ist.

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