LADY AUDLEYS GEHEIMNIS - Wilhelm Semmelroth

Sexwellen, Kriminalspaß und andere Krautploitation.
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Percy Lister
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LADY AUDLEYS GEHEIMNIS - Wilhelm Semmelroth

Beitrag von Percy Lister »

"Lady Audleys Geheimnis" (Deutschland 1977)
mit: Susanne Uhlen, Hans Caninenberg, Christian Wolff, Michael Schwarzmaier, Katerina Jacob, Helga Anders, Willi Semmelrogge, Hans-Helmut Dickow, Peter Thom, Claudia Amm, Siegfried Wischnewski, Ilsemarie Schnering, Lilla Towska, Elfriede Pletsch, Margret van Munster, Magda Hennings u.a. | Drehbuch: Herbert Asmodi nach dem Roman "Lady Audley's Secret" von Mary Elizabeth Braddon | Regie: Wilhelm Semmelroth

George Talboy kehrt nach sechs Jahren aus Australien zurück. Nach seiner Ankunft in England muss er erfahren, dass seine Frau Helen vor kurzem gestorben ist. Er ist untröstlich, da er nur ihretwegen zu den Goldminen ans andere Ende der Welt gereist ist, um ein Vermögen zu erarbeiten. Nun, da er mit 20 000 Pfund wieder in der Heimat ist, bleibt ihm nur mehr der Gang an Helens Grab, die laut ihrem Vater an gebrochenem Herzen starb. George sucht seinen Freund Robert Audley in London auf, der ihn dazu überredet, mit ihm zu seinem Onkel aufs Land zu fahren, um Bekanntschaft mit dessen zweiter Frau zu machen. Lady Audley lässt sich entschuldigen, sie wäre nicht in der Verfassung, Besucher zu empfangen. Als George eine Skizze der jungen schönen Frau sieht, erstarrt er. Noch in der selben Nacht sucht er das Herrenhaus auf und ist am nächsten Morgen spurlos verschwunden....

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In bemerkenswerter Weise hat Herbert Asmodi in der Bearbeitung der Vorlage von Mary Elizabeth Braddon alle Bezüge auf eine Geisteskrankheit der Hauptfigur eliminiert. Nimmt die Angst Lady Audleys, den Wahnsinn ihrer Mutter geerbt zu haben, im Buch noch einigen Raum ein, so sehen wir mit Susanne Uhlen eine selbstsichere junge Frau, die nie lächelt und ihren Willen erbittert durchsetzt. Ihr Werdegang ist ihrem kühlen Verstand und ihrer Intelligenz zuzuschreiben. Die einzige Person, die ihr gewachsen ist, der einzige Mann, der ihren Status ins Wanken bringen kann, ist Robert Audley, der Neffe ihres Ehemanns. Christian Wolff ist ein würdiger Gegenspieler für Susanne Uhlen, die der Titelrolle eine hohe Glaubwürdigkeit verleiht. Man hasst sie für ihre Halsstarrigkeit, ihre Kälte und ihre Lügen. Dennoch sollte man diese Frau nicht pauschal verurteilen. Betrachtet man die Rolle der Frau im zeitlichen Kontext, so stellt man fest, dass die (Wahl-)Möglichkeiten relativ gering waren. Anhand der weiblichen Figuren wird deutlich aufgezeigt, wie schmal sich der Pfad gestaltete, auf dem sie wandeln durften. Die Zofe Phöbe, welche von Helga Anders mit einer Mischung aus Loyalität, Ergebenheit und Pragmatismus dargestellt wird, sieht einer Eheschließung mit einem Gastwirt entgegen, der sie bereits vor der Hochzeit schlägt. Clara, die zurückhaltende Schwester von George Talboy, wird in ihrem finanziell sorgenfreien Umfeld abgeschottet, ihr Vater erlaubt ihr nicht einmal die Bekanntschaft mit anderen jungen Damen. Ihre Tugendhaftigkeit kühlt das reizbare Gemüt des Vaters.

Einzig die temperamentvolle Tochter von Sir Michael, Alicia, die von der ungebändigten Katerina Jacob mit Eigensinn und Verve ausgestattet wird, zeigt unabhängige Züge auf und will sich nicht in abgesteckte Schranken gesellschaftlicher Konventionen weisen lassen. Um die Feinheiten und Hintergründe der Geschichte besser zu verstehen, empfiehlt es sich, auch einen Blick in den Roman zu werfen. Ähnlich wie in "Die Frau in Weiß" findet man auch hier viele Elemente des klassischen Schauerromans. Geheimnisse aus der Vergangenheit werden mit allen Mitteln daran gehindert, ans Licht zu kommen. Dafür wird geleugnet, gelogen und bei Bedarf auch gemordet. Doch in beiden Fällen gibt es einen redlichen jungen Mann, der zunächst aus Neugier, dann aus moralischer Überzeugung handelt und dafür sorgt, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wird. Der junge Rechtsgelehrte Robert Audley, der vom Genre-erprobten Christian Wolff gespielt wird, langweilt sich in seinem Beruf. Seine Kanzlei wird selten von Klienten aufgesucht, doch sein Vermögen ermöglicht es ihm, dennoch bequem zu leben. Wer die Werke des Erfolgsschriftstellers Wilkie Collins kennt, kommt relativ rasch hinter das Geheimnis der Geschichte. Psychologisch ausgefeilt, menschlich herausfordernd und atmosphärisch dicht präsentiert sich der Zweiteiler in jedem Fall. Die Schauspieler zeigen ein Gespür für den historischen Stoff und sind mit Engagement bei der Sache. Änderungen der literarischen Vorlage dienen dazu, der Geschichte das Melodramatische zu nehmen; die innere Gefühlswelt wird ausgespart, lässt sie sich doch auf der Leinwand schwer darstellen.

Während die Beichte von Lady Audley und Sir Michaels Reaktion darauf den Höhepunkt des Romans markieren, überbringen Robert Audley und Clara Talboy im Film die schlechten Nachrichten. Auch das Ende wurde abgeändert - hier zugunsten eines spannenden Finales. Hans Caninenberg und Siegfried Wischnewski übernehmen die Rollen der würdigen alten Herren, die sich in ihrem abgesicherten Lebenskreis mit Überzeugung und Prinzipien eingerichtet haben und deren Empfindungen durch das Auftauchen der jungen Frau in nachhaltiger Weise gestört werden. Sir Michael Audley erleidet ein gebrochenes Herz, Harcourt Talboy hingegen unendlichen Hass auf die Frau, die seinem Sohn den Weg zu einer besseren Partie versperrte. Schlüssig und detailreich wird ein Verdacht verfolgt, der sich wie ein roter Faden durch die Handlung zieht und die geheimnisvolle Persönlichkeit der unnahbaren Leuchtgestalt wie eine Zwiebel auseinanderpflückt. Das Gespann Wolff/Semmelrogge stellt private Nachforschungen an und profitiert gegenseitig von den jeweiligen Stärken, was die Sympathien klar verteilt und weitere Personen ihrer Umgebung für sie einnimmt. Die Symbiose, welche die darstellenden Künste mit der musikalischen Umrahmung durch den bewährten Hans Jönsson und der optisch schmeichelnden Eindrücke eingeht, adelt die Produktion des Westdeutschen Rundfunks, der sein Publikum einmal mehr in eine Welt einlädt, in welcher der schöne Schein täuscht und das Böse hinter den Fassaden ehrwürdiger Anwesen ebenso lauert, wie das Gute viel Mut benötigt, um alte Lügen aufzudecken und der Gerechtigkeit auf die Sprünge zu helfen.

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