UND DER REGEN VERWISCHT JEDE SPUR - Alfred Vohrer

Sexwellen, Kriminalspaß und andere Krautploitation.
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Prisma
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UND DER REGEN VERWISCHT JEDE SPUR - Alfred Vohrer

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● UND DER REGEN VERWISCHT JEDE SPUR (D|1972)
mit Anita Lochner, Alain Noury, Wolfgang Reichmann, Malte Thorsten, Eva Christian, Konrad Georg,
Herta Worell, Alf Marholm, Henry Vahl, Alexander Allerson, Hans Daniel und Ruth Maria Kubitschek
eine Luggi Waldleitner Produktion der Roxy Film | im Constantin Filmverleih
ein Film von Alfred Vohrer

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»Wer weiß, wofür es gut ist...«


Christine Luba (Anita Lochner) und der französische Student Alain (Alain Noury) erleben die erste große Liebe und eine unbekümmerte Zeit. Alles könnte so perfekt sein, wenn Christines Vater (Wolfgang Reichmann) ihren Freund akzeptieren würde, doch dieser scheint ihm nicht gut genug für seine Tochter zu sein. Es sieht so aus, als würde Luba versuchen, das Glück seiner Tochter mit allen Mitteln zu torpedieren. Doch die verwöhnte Tochter hat ein sehr unkritisches Bild von ihrem alten Herrn und kann nicht glauben, dass er zu derartigen Maßnahmen im Stande wäre. So trifft sie sich mit ihrer Mutter Irene (Ruth-Maria Kubitschek), die sie seit Monaten nicht mehr gesehen hat und mit der es seit der Scheidung der Eltern ohnehin nur noch sporadischen Kontakt gibt. Christine wird mit eindringlichen Warnungen vor der Eifersucht ihres Vaters konfrontiert und beschließt schon bald, mit Alain eine Weile nach Frankreich zu gehen. Doch er kommt nicht zum vereinbarten Treffpunkt und ist danach wie vom Erdboden verschluckt. Anschließend lernt sie Martin (Malte Thorsten) kennen, einen jungen Mann aus reichem Hause, in den sie sich auch verliebt. Doch auch dieses Glück wird nicht von langer Dauer sein...

Alfred Vohrers Beitrag ganz im Stil der Simmel-Verfilmungen stellt sich bereits nach wenigen Minuten als beachtliche Überraschung heraus und steht dieser von Vohrer selbst inszenierten Konkurrenz in keinerlei Hinsicht nach. Eher ist das genaue Gegenteil der Fall, denn "Und der Regen verwischt jede Spur" behauptet sich seinen Platz im Rahmen des komplexeren deutschen Unterhaltungskinos problemlos und absolut zielsicher, außerdem besitzt dieser Beitrag sogar mehrere Vorzüge, als einige Original-Simmel-Filme. Die Geschichte erscheint zunächst trügerisch einfach zu sein: Die Jungdarsteller Anita Lochner und Alain Noury überzeugen im Rahmen der Veranschaulichung der ersten Liebe und des großen Glücks. Eigentlich programmieren sie eine strahlende Zukunft absolut glaubhaft, wenn da nicht das Schicksal mit all seinen Helfershelfern wäre. Die anfängliche Einfachheit des Geschehens ist angenehm anzusehen, die Unbeschwertheit von Alain und Christine wird packend und greifbar dargestellt, doch beim Zuschauer kann trotz dieser Eindrücke ein Gefühl der Beunruhigung aufkommen, denn bereits der Vorspann gibt puzzleartigen Aufschluss darüber, dass eine Katastrophe in der Luft liegt. So besteht die Raffinesse der Inszenierung letztlich darin, dass sich die Atmosphäre schleichend zuspitzt und eine noch nicht zu definierende Verheißung über dem Gesamtgeschehen liegt, bis sich die Dramatik plötzlich und buchstäblich überschlägt, und sich Protagonisten und Zuschauer in einem Schraubstock wiederfinden. Das Leitmotiv Regen gibt dem Titel einen äußerst bitteren Beigeschmack und der Geschichte schlussendlich eine sehr perfide Note, da der Regen hier nicht nur jede Spur verwischen wird, sondern als Synonym für unzählige Tränen greift, die man im Regen aber erst gar nicht zu sehen bekommen wird. So handelt es sich in Einklang mit Alfred Vohrers Gespür und handwerklicher Raffinesse um Dramatik der intelligenteren, außerdem Unterhaltung der anspruchsvolleren Sorte.

Was angesichts der Hauptrollen schon fast wie ein Wagnis aussieht, erweist sich im Handumdrehen als absoluter Glücksgriff in Sachen Überzeugungskraft und Nachhaltigkeit. Die jungen Hauptdarsteller Alain Noury und Malte Thorsten, die beide bereits über Simmel-Erfahrung verfügten, sowie Anita Lochner, agieren leichtfüßig und glaubhaft, genau wie es bei der überwältigenden Performance von Wolfgang Reichmann der Fall ist. Das Ganze wird von dieser Vierer-Konstellation zwar beeindruckend und unausweichlich dominiert, aber mit den glänzend aufgelegten Damen Ruth-Maria Kubitschek und Eva Christian markant abgerundet, sodass die restlichen Rollen allesamt etwas weniger prominent in Erscheinung treten müssen und werden. Als man Christine das erste Mal sieht, ist sofort zu verstehen, dass sie den Jungs ihres Alters die Köpfe ganz natürlich verdreht. Sie wirkt natürlich, ist temperamentvoll und zeigt sich mit viel emotionaler Hingabe, auch wenn sie im Umgang mit ihrem Vater zwar herzlich und offen ist, aber über den Verdacht von blindem Vertrauen und einer ordentlichen Portion Naivität nicht hinwegkommt. Der alte Luba wirkt wie der Wolf, der ausgiebig Kreide gefressen hat. Er hält die Fäden an der Hand und an deren Ende finden sich unzählige Marionetten, die das tun, was er von ihnen verlangt. Im Bezug auf Männer darf es keine Götter neben ihm geben, seine Absolution erteilt er nur, wenn sich ihm dadurch ein Vorteil in Aussicht stellt. So ist der oppositionell wirkende Alain in seinen Augen nur ein Habe- und Taugenichts, bei dem es gilt, ihn schnellstens gegen eine gewinnbringendere Variante auszutauschen, immerhin hat er die Zukunft seiner Tochter gedanklich durchchoreografiert. Martin stellt in diesem Kontext das kleinere Übel dar, da er aus gut situierten Verhältnissen stammt und Luba daher sofort eine geschäftliche Allianz wittert, immerhin ist er wirtschaftlich gesehen in Schieflage geraten.

Überhaupt spielt die Regie im Charaktere-Roulette überwiegend mit deutlichen Kontrasten. Martin und Alain könnten nicht unterschiedlicher sein und haben schließlich nur eines gemeinsam, denn sie können der aufregend wirkenden Christine nicht widerstehen. Alain agiert in dieser Beziehung offensiv und direkt, Martin eher verschlossen und weitgehend verhalten bis reserviert. Neben Christine hat Luba allerdings noch andere Frauen in seiner Schraubzwinge: seine Schwester Karin, die als demütige Bittstellerin in sein Haus gezogen ist, um ihrem kleinen, unehelichen Jungen etwas bieten zu können, muss dafür einen hohen Preis zahlen. Demütigungen und Maßregelungen sind an der Tagesordnung, jede Eigenmächtigkeit wird im Keim erstickt und bestraft. Dass ihr der Mann weggelaufen ist, sei ohnehin vorprogrammiert gewesen. Die in diesem Vakuum stehende Frau wird hervorragend von Eva Christian dargestellt und ihre unterdrückten Emotionen und Bedürfnisse werden von ihrem versteinerten Gesicht in etlichen Situationen exakt widerspiegelt. Eine andere Dame, die sich ebenfalls im Würgegriff von Luba befindet, ist Christines Mutter. Die großartige Ruth-Maria Kubitschek demonstriert in ihrem weniger als fünf Minuten dauernden Auftritt, wie man eine derartige Rolle perfekt lösen kann. Ihre Irene sitzt in einem goldenen Käfig. Sie darf sich zwar ein unbeschwertes Leben erlauben, hat sich dafür aber dem Willen ihres Ex-Mannes zu beugen - jederzeit. Es soll daher keinen schädlichen Kontakt zu Christine geben, außerdem dürfen keinerlei Forderungen oder Ansprüche geltend gemacht werden. Irene soll nur noch wie eine verblasste Erinnerung wirken. Bei aller Oberflächlichkeit, die so exzellent von der Kubitschek dargestellt wird, ist sie dennoch eine der wenigen Personen, von der man ehrliche oder besser gesagt direkte Worte hören wird. Ihre Warnungen wirken verheißungsvoll und deuten die Katastrophe bereits nach kurzer Spieldauer an.

Mit den meisten Simmel-Adaptionen und auch mit "Und der Regen verwischt jede Spur" sind in den 70er Jahren Filme entstanden, die in der deutschen Kino-Landschaft tatsächlich nach ihresgleichen suchen dürfen. Die Mischung aus Unterhaltung und Anspruch ist hier sehr gut dosiert, und entstanden ist schließlich Film, dessen Thema in unmissverständlicher Art und Weise deutliche Berührungspunkte preisgibt, die das Potenzial haben, das Publikum zu packen. Dramatik, Sentimentalität und Theatralik werden in einer gesunden, um nicht zu sagen intelligenten Dosierung abgehandelt, sodass Alfred Vohrers Arbeit mit Leichtigkeit über die nicht ganz so simple Ziellinie gehen kann. "Und der Regen verwischt jede Spur" ist ein angenehm stiller Vertreter seiner Gattung geworden, der nahezu unverblümt mit einer gewissen Realitätsnähe zu spielen versucht, dabei aber vornehmlich in ernsten und nachdenklichen Sphären bleibt. Die anfängliche Idylle wirkt überaus angenehm aber dennoch trügerisch, die unbeschwerte Zweisamkeit ist zwar herrlich mit anzusehen, aber man spürt die Kühle des Schattens, der sich über die Geschichte zu legen versucht. Vor allem aber wirkt die nicht thematisierte Prognose in Richtung der jungen Protagonistin sehr ernüchternd, weil das Schicksal ihrem Vater geholfen hat und sie vermutlich für immer an ihn gekettet hat. Inszenatorisch gesehen hat die Regie sämtliche Register gezogen: viele Ortswechsel, eine satte Ausstattung, aufwendige Settings und kleinere pyrotechnische Spektakel, die den Film hochwertig erscheinen lassen. Die Musik von Erich Ferstl zwingt dem Geschehen Melancholie auf, um aber in den brisanten Sequenzen Paukenschläge zu versetzen. Außerdem fügen sich einige angenehm nervenkitzelnde Rückblenden nahtlos in den klaren Aufbau der Geschichte ein, und insgesamt kann das eindeutige Fazit nur folgendermaßen lauten: "Und der Regen verwischt jede Spur" ist ein Volltreffer, den man bestimmt einmal gesehen haben sollte.

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