GASLICHT - Wilm ten Haaf

Sexwellen, Kriminalspaß und andere Krautploitation.
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Percy Lister
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GASLICHT - Wilm ten Haaf

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"Gaslicht" (Deutschland 1960)

mit: Margot Trooger, Dieter Borsche, Hans Zesch-Ballot, Christiane Maybach, Else Quecke | Drehbuch: Günther Bloecker und Wilm ten Haaf nach dem Bühnenstück "Angel Street" von Patrick Hamilton | Regie: Wilm ten Haaf

Nebel. Eine Straßenlaterne. Langsam tritt ein Mann aus dem Dunkel und bleibt unter dem erleuchteten Fenster eines Hauses stehen. Er sieht hinauf und die Kamera dringt nun in das Zimmer ein, wo eine Frau die Klingel bestätigt, um eine Dienerin zu rufen. Es ist Bella Manningham, die ein paar Waffeln beim Bäckerboten bestellen will, um ihrem im Sessel dösenden Gatten Jack eine Freude zu bereiten. Fast ängstlich führt sie diesen Vorgang durch und ein rascher Blick auf das Gesicht des Hausherrn lässt nichts Gutes erwarten....

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Nach den glanzvollen Ouvertüren der Dreißiger und Vierziger Jahre, die zwei formidabel ausgestattete Kinoverfilmungen des Stoffes bieten, holt das deutsche Fernsehen den Zuschauer auf den harten Boden der prosaischen Realität zurück. Die Handlung überspringt die Einleitung, welche die mysteriösen Ereignisse von vor zwanzig Jahren rekapituliert, und setzt gleich an der Stelle ein, wo Jack seiner Bella einen Theaterbesuch verspricht, diesen jedoch wegen eines verlegten Gemäldes gleich wieder annulliert. Einerseits kann man damit argumentieren, dass dies vor allem dem Zeitfaktor geschuldet ist; die amerikanische Kinoversion beispielsweise ist rund fünfundzwanzig Minuten länger als das deutsche Fernsehspiel, andererseits kann der Mangel an romantischen Täuschungsmanövern bzw. das Fehlen der Vorgeschichte als beabsichtigt betrachtet werden. Das Publikum soll möglichst lange im Unklaren bleiben, Fragen nach den Gründen für das seltsame Verhalten des Ehepaars zueinander sollen vorerst unbeantwortet bleiben. "Bella, kannst du nicht mehr lachen?" Jacks gönnerhafte Bemerkung trifft auf eine zutiefst verunsicherte Frau. Seit vier Jahren sind die beiden verheiratet, seit sechs Monaten wohnen sie nun in diesem Londoner Haus, nachdem sie sich in den Jahren zuvor zuerst in Belgien und dann in Yorkshire aufhielten. Ist es die Eintönigkeit, die Bellas Geist verwirrte? Ist die Liebe Jacks zu seiner Frau abgekühlt? Dieter Borsche verfügte gerade in seinen späteren Schurkenrollen über eine große Überzeugungskraft, sein maliziöser Charme zielte auf die Ahnungslosen, denen er mit seinen gemessenen Schritten, dem feinen Lächeln und der gefassten Haltung Sand in die Augen streuen konnte. Sein Temperament versuchte er dabei zu tarnen, um sich die Aura des Biedermanns überzustülpen, obwohl er oftmals von Gier nach Geld, Macht und Einfluss getrieben war. Margot Trooger, die ab den Sechziger Jahren gerne vor allem für starke Frauenrollen verpflichtet wurde, gibt sich in "Gaslicht" wehrlos und verletzlich. Sie exerziert eine Ehefrau zwischen Anbiederung, Unterwürfigkeit und Auflehnung, wobei ihre Versuche, sich emotional zu artikulieren, zeitweise an Hysterie grenzen, zu der sie von ihrem unbeherrschten Partner sukzessive getrieben wird. Die Voraussetzungen für das Gelingen des Fernsehspiels sind also glänzend und der Zuschauer darf gespannt der Dinge harren, die da kommen mögen.

Der Altersunterschied zwischen den Darstellern ist übrigens größer, als man vermuten möchte: Borsche ist vierzehn Jahre älter als Trooger. Das Geschehen spielt sich mit Ausnahme einer kurzen Szene zur Gänze im Haus ab und konzentriert sich dabei größtenteils auf das Wohnzimmer. Durch den Einsatz von fünf Kameras gelingt es, den Raum immer wieder aus einer anderen Perspektive zu zeigen; mal sieht man beispielsweise den Teetisch von oben, dann wieder duckt sich die Kamera hinter dem Sessel am Kamin. Das stimmige Szenenbild von Peter Scharff trägt neben dem intensiven Spiel der beiden Hauptdarsteller zum Erfolg des Stückes bei. Einige geringfügige, aber interessante Änderungen der Handlung verleihen dem Fernsehspiel Tiefe und zusätzlichen Suspense. Durch den Auftritt von Hans Zesch-Ballot als Kriminalkommissar a. D. William Rough kommt für die Dame des Hauses der ersehnte frische Wind in das staubige Zimmer. Er rollt die Ereignisse der Vergangenheit auf, erklärt die Bedeutung seiner Anwesenheit und erwähnt zum ersten Mal die Namen Alice Barlow und Sidney Power. Er klärt Bella Royd über den unlauteren Charakter ihres Gatten auf, wobei der ungeschönte Realismus durch den sehr spärlichen Einsatz der Musik betont wird. Das Zupfen der Bassgeige untermalt die spannenden Schlussmomente und den Abgang des Verbrechers. Für Aufregung sorgt der raffiniert inszenierte letzte Akt mit mehreren Nervenkitzel-Momenten und der Frage, ob die Abwesenheit des Hausherrn ausreichen wird, um alle Puzzleteile zu einem überzeugenden Ganzen zusammenzufügen. In diesem Zusammenhang sei das vorzügliche Spiel von Christiane Maybach zu erwähnen, die das Dienstmädchen Nancy mit blühendem Charme spielt. Sie lässt in keinem Augenblick Zweifel darüber, dass sie der Herrin des Hauses überlegen ist und sich bereits als ihre Nachfolgerin sieht. Dieter Borsche betont dies durch seine lüsternen Blicke und gierigen Küsse, die allerdings keine Garantie für die Frau bieten. Sein Interesse soll den Rubinen gelten, was allerdings nicht übermäßig betont wird. Es scheint, als bereite ihm das sadistische Quälen von Menschen - Alice Barlow wurde mit einem Rasiermesser getötet - sowie die Ausübung von grenzenloser Macht innerhalb seiner vier Wände, kombiniert mit einem bohemienhaften Leben, größere Befriedigung als der Anblick der funkelnden Steine. Das Psychogramm des Täters untermauert diese These und gibt Einblick in die Allmacht eines Mannes innerhalb seines häuslichen Umfelds.

FAZIT: Ein hervorragendes Kammerspiel mit fünf motivierten Schauspielern, die mit Esprit und Energie agieren. Die Enge des Schauplatzes betont den Zweck der Handlung und sorgt für eine gemütliche Atmosphäre. "Gaslicht" schöpft die (finanziell) begrenzten Möglichkeiten einer damaligen Fernsehproduktion aus und schafft es, durch die Faszination seiner Darsteller die Vorlage überzeugend zu interpretieren.

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