MÄDCHEN HINTER GITTERN - Rudolf Zehetgruber

Sexwellen, Kriminalspaß und andere Krautploitation.
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Prisma
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MÄDCHEN HINTER GITTERN - Rudolf Zehetgruber

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MÄDCHEN HINTER GITTERN


● MÄDCHEN HINTER GITTERN (D|1965)
mit Heidelinde Weis, Harald Leipnitz, Adelheid Seeck, Harry Riebauer, Sabine Bethmann, Ursula Herking, Ellen Umlauf,
Helga Marlo, Uta Levka, Biggi Freyer, Marianne Hoffmann, Ingrid Bauer, Hans W. Hamacher, Carsta Löck und Elke Aberle
eine Produktion der cCc Filmkunst | im Gloria Verleih
ein Film von Rudolf Zehetgruber

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»Ich schlag euch alle zusammen, ihr Nutten!«


In einer Berliner Fürsorgeanstalt wird straffällig gewordenen Mädchen das Gefängnis erspart. Zu ihren Vergehen gehören Kuppelei, Prostitution, Drogenkonsum oder schwerer Diebstahl. Die Leitung, Frau Dr. Harzeck (Adelheid Seeck), versucht die gefallenen Mädchen mithilfe ihres Personals wieder auf den richtigen Weg zu bringen. Eines der Mädchen ist die Anfang 20-jährige Karin (Heidelinde Weis), die sich besonders renitent gegenüber Autoritäten verhält und ein besonderes Geheimnis zu haben scheint. Auf ihr Konto soll sogar das Ausscheiden des letzten Seelsorgers gehen. Als der neue Pfarrer namens Skornia (Harald Leipnitz) eintrifft, liegt eine besondere Nervosität in der Luft. Wird es genau dieselben Probleme wie mit dem alten Geistlichen geben, oder wird sich Karin beugen..?

Die skandalträchtigen deutschen Produktionen der 60er Jahre sind bekannt wie bunte Hunde und wurden seinerzeit regelrecht gebrandmarkt, auch wenn es sich in der Rückschau um harmlosere Vertreter gehandelt hat. Rudolf Zehetgrubers "Mädchen hinter Gittern" zählt zu der Fraktion, deren Ruf schlechter gemacht wurde, als verdient, denn immerhin erlaubt sich die Regie den skandalösen Luxus von nicht alltäglichen Schauwerten, um letztlich einen authentischen Anstaltsalltag simulieren zu können. Ob es gelingt oder nicht, lässt sich mit heutigen Maßstäben fast nicht mehr beantworten, denn Vieles wirkt weit überholt und wie das Gegenteil von Authentizität. Es kann nicht häufig genug betont werden, dass es sich um ein großes Glück handelt, dass sich Produzent Artur Brauer immer wieder und unbeirrbar schwierigeren Stoffen annahm und somit für echte Abwechslung in der deutschen Kino-Landschaft sorgen konnte. Die Thematik um gefallene Mädchen war seinerzeit ein bereits gut ausgeschlachteter Dauerbrenner, doch hier wird dem Publikum hin und wieder in deutlicher Manier die Arbeit abgenommen, die Fantasie spielen lassen zu müssen, da Zehetgruber sich nicht scheut, dieses Remake aus dem Jahr 1949 mit eindeutiger Exposition auszustatten, dabei aber gleichzeitig Gefahr zu laufen, eine Altersfreigabe ab 18 zu riskieren, wozu es schließlich auch kam. Die Geschichte beginnt mit der Berichterstattung der besten schlechten Seele der Fürsorgeanstalt, indem sie einer Neuen anhand der Unterwäsche erklärt, welches der Mädchen was auf dem Kerbholz hat. Ein schneller Schwenk in die Duschräume der Anstalt zeigt sogleich das, was eben noch vollmundig angekündigt wurde: nackte Haut, die gleichgesetzt wird mit Leichtfertigkeit, Frivolität und krimineller Energie.

Darstellerinnen wie Uta Levka, Marianne Hoffmann oder Biggi Freyer, die es in den folgenden Jahren zu einer gewissen Bekanntheit aber keinen Karrieren bringen sollten, da sie vornehmlich für die Sparten Erotik und zweite Garnitur gebucht wurden, zeigen die nackten Tatsachen in unreinster Makellosigkeit. Beobachtet und auf den rechten Weg zurückgeführt von Schablonen im Spiegel der Gesellschaft, sieht man verschiedene Entwürfe des Aufsehertypus: Adelheid Seeck mit hoheitsvoller Besonnenheit, Ellen Umlauf mit strenger Reserviertheit und Sabine Bethmann mit freundschaftlichem Verständnis. Die Schauspielerinnen garantieren ihren Schutzbefohlenen somit einen vergleichsweise einfachen Weg zurück in die Gesellschaft mit Elefantengedächtnis, können ihre Renitenz jedoch nicht brechen. So erzählt diese alles andere als uninteressante Geschichte, dass es Hochwürden schon richten wird. In Gestalt von Harald Leipnitz ist schließlich eine bemühte Coolness à la Mid-60er wahrzunehmen, die reichlich unangebracht wirkt, genau wie der Aufhänger der Geschichte, für den Heidelinde Weis zuständig ist. Die Hintergründe der Geschichte um ihre Karin wirken gewollt nebulös, um in den richtigen Momenten für die brisanten Strecken zu sorgen, die gut bei der Stange halten. Heidelinde Weis überzeugt in ihrer Funktion einer Art Anführerin unter den Mädchen, die es auf einen Clash mit dem Pfarrer anlegen wird. Leider wird ihre Schlagfertigkeit von Harald Leipnitz' Omnipotenz unterwandert, außerdem wirkt Weis etwas zu kultiviert für diese Art Rolle, was sich vielleicht aus ihrer Film-Herkunft ergeben mag, allerdings kaum die Abwärtsspirale charakterisiert, in der sie sich befindet. Somit heben sich die natürlichen Stärken im Zusammenspiel Leipnitz/Weis ein wenig gegeneinander auf, da es stets einen Stichwortgeber braucht.

Die Mädchen in der Besserungsanstalt hätten alle ihre persönlichen Schicksale zu erzählen, doch es fehlt an Raum und Zeit, sodass die Wurzeln allen Übels auf die Herren der Schöpfung subsumiert werden. Der Verlauf erlaubt sich keine Pausen und erzählt interessante Facetten von Schein und Sein, außerdem davon, wie schnell die jungen Mädchen aufgrund ihrer Unerfahrenheit und Naivität kassiert werden können. In diesem Zusammenhang übertrifft sich ein vor falschem Charme triefender Harry Riebauer selbst und bringt sich gekonnt in den Radius des Hassobjekts. Überhaupt ist Rudolf Zehetgrubers Film blendend besetzt und verfügt insbesondere über Interpretinnen wie Adelheid Seeck als mütterlich wirkende Leiterin der Besserungsanstalt, oder Ellen Umlauf als Kommandeurin, die beide wegen ihres konturierten Stils auffallen. Sabine Bethmann, Helga Marlo oder Ursula Herking steuern ebenso erinnerungswürdige Leistungen bei. Lediglich Elke Aberle fällt ein wenig aus dem vorstrukturierten Rahmen, da sie für die komödiantischen Auflockerungsversuche verantwortlich ist. Die Geschichte behält sich ihre am meisten gewagten Veranschaulichungen für später vor, sodass der Eindruck bestehen bleibt, dass die Regie ihre eigentlich herkömmliche Geschichte mit genügend Brisanz und Farbtupfern ausstatten konnte. Unterm Strich lässt sich sagen, dass "Mädchen hinter Gittern" ein gelungener Vertreter des deutschen Films seiner Zeit geworden ist, der in vielen Bereichen über ein bisschen mehr Mut und Provokation verfügt, als es bei Artgenossen oder obligatorischen Vertretern des bundesdeutschen Skandalfilms üblich war. Eingefasst in einen heute harmlos wirkenden Gossenton und eine dynamische Bebilderung, kann sich der Beitrag des Wiener Regisseurs durchaus sehen lassen, nicht zuletzt wegen den unverbrauchten, beziehungsweise verbrauchten Jung-Darstellerinnen.

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Prisma
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Re: MÄDCHEN HINTER GITTERN - Rudolf Zehetgruber

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● HELGA MARLO als INGE in
MÄDCHEN HINTER GITTERN (D|1965)



Inges Mann wird ohne Feierlichkeiten und kirchlichen Segen zu Grabe getragen, wenngleich sich dies viel zu kultiviert anhört, misst man es an den letzten Worten des Pfarrers an einen Selbstmörder. Inge steht regungslos da, mit versteinerter Miene, beladen mit Schuld, die sie kaum ertragen kann, die Blicke der anderen lassen sie förmlich im Boden versinken. Der Zuschauer erfährt zunächst nicht, was eigentlich geschehen ist und Helga Marlos Rolle besteht ausschließlich aus Rückblenden, die erzählerisch von ihrer Tochter abgewickelt werden. Von ihrem Onkel bekommt sie noch auf dem Friedhof reinen Wein über die Hintergründe eingeschenkt, außerdem freizügige Fotos von ihrer Mutter präsentiert. Schnell versteht man, warum sie ihrer Tochter alle Hintergründe verschwiegen hatte und wenig später ist sie bereits mit ihrem Liebhaber oder vielleicht sogar Zuhälter zu sehen, den sie abschätzig und aus vollster Überzeugung nur noch Abschaum nennt. Sie ist offensichtlich auf ein erpresserisches Geschäftsmodell des schmierigen Modefotografen Frank Albin hereingefallen, der jetzt auf das Geld einer reichen Witwe spekuliert. Helga Marlo ist in "Mädchen hinter Gittern" in ihrem ersten Kinofilm zu sehen, was für eine gleich Mitte 40-jährige Interpretin einigermaßen bemerkenswert ist, da Karrieren oft schon über zwanzig Jahre früher beginnen. Ihr Schauspiel ist im Rahmen betont schwermütiger Ereignisse vollkommen stilsicher und pointiert, sodass man die aussichtslose Gefühlslage der Witwe gut begreifen kann. Sie hasst ihr Gegenüber, aber noch mehr sich für ihre Naivität und Leichtfertigkeit, doch sie hatte Komplimente vermutlich schon lange nicht mehr gehört und ist daher auf die Versprechungen vom blauen Himmel hereingefallen. Sie wird unter Druck gesetzt, den sie nicht mehr länger ertragen kann, aber ihr Erpresser und ehemaliger Liebhaber dreht den Strick immer weiter zu. In Helga Marlos Gesicht machen sich Ekel und eine ohnmächtige Resignation breit, die den Zuschauer wegen so viel Kaltschnäuzigkeit gleich mit paralysiert, denn ein Ausweg ist nicht zu sehen. Verzweifelt droht Inge mit der Polizei, was eine reaktionäre Abwärtsspirale in Gang bringt, bis er schließlich droht, ihrer Tochter alles zu erzählen, die aber längst Horcher an der Wand spielt.

Als die Wahrheit aus ihrer Mutter endlich heraus ist, tun die vielen Tränen zunächst gut, bevor sie anfangen, wie Feuer brennen, denn der Fotograf den sie als nett, höflich und selbstsicher beschrieben hat, packt auch das jüngere Modell bei ihrer Unerfahrenheit und Naivität. Helga Marlo bringt es auf mehrere kurze Szenen, in denen sie nur einmal die Contenance verliert, was das Schicksal ihrer eigenen Tochter besiegelt. Helga Marlo stellt sich als die richtige Wahl für diese handelsübliche Rolle heraus, da sie die Schwere ihrer Situation gut auf den Punkt zu bringen weiß. Sie wirkt völlig gehemmt, im Gegensatz zu den eindeutigen Posen ihrer Fotos, die ihr zum Verhängnis werden. Dass ihre Sehnsüchte und Wünsche angesprochen und ausgenutzt wurden, macht sie zu keinem schlechten Menschen, auch zu keiner schlechteren Mutter, da sie sich stets besorgt zeigte, ihr aber die Hände gebunden sind. Sie ist einem solchen Mann einfach nicht gewachsen, sodass der Eindruck entsteht, als möchte sie jederzeit losheulen, weil sie einfach keinen Ausweg mehr sieht. Ihr Mann hat einen solchen für sich persönlich gefunden, was die Situation für die ohnehin schwer angeschlagene Frau nur noch verschärft. Neben ihren wesentlich bekannteren Kolleginnen Adelheid Seeck, Ellen Umlauf und Sabine Bethmann, die genau wie sie die vorige Generation auf individuelle Weise verkörpern, braucht sich Helga Marlo keineswegs zu verstecken, wenngleich ihre Funktion sich ausschließlich auf den Bereich der erklärenden Rückblenden und etwas Zeigefreudigkeit beschränkt. Hier fabriziert sie eine spürbare Nervosität und Ohnmacht, die zu mitleidigen Blicken animiert, obwohl man sie eigentlich für gefestigt genug gehalten hätte, sich nicht in ein solch gefährliches Abenteuer zu begeben. Am Ende ist ihr Leben vorbei - zumindest erzählt ihre völlig pessimistische Körpersprache davon, doch auch wenn sie es sich noch nicht vorstellen kann, wird es auch wieder Licht am Ende des Tunnels geben, das nicht von einem entgegen fahrenden Zug stammt. Es bleibt ein sehr überzeugender Einstand im Spielfilmbereich, den Helga Marlo formt wie eine der Arrivierten, dabei viele Facetten anbietet, die im Kino dieser Zeit immer wieder gebraucht und gefordert wurden. Zumindest bleibt diese Rolle aufgrund ihrer brisanten Tendenzen gut in Erinnerung.



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