IMMENSEE - Veit Harlan

Sexwellen, Kriminalspaß und andere Krautploitation.
Antworten
Percy Lister
Beiträge: 347
Registriert: Sa., 14.11.2020 16:15

IMMENSEE - Veit Harlan

Beitrag von Percy Lister »

Bild Bild


"Immensee" (Deutschland 1943)
mit: Kristina Söderbaum, Carl Raddatz, Paul Klinger, Carola Toelle, Lina Lossen, Otto Gebühr, Max Gülstorff, Germana Paolieri, Wilfried Seyferth, Käte Dyckhoff, Malte Jaeger u.a. | Drehbuch: Veit Harlan und Alfred Braun nach der gleichnamigen Novelle von Theodor Storm | Regie: Veit Harlan

Elisabeth Uhl lebt zurückgezogen in einem norddeutschen Dorf, wo sich der Musikstudent Reinhardt und der Gutsbesitzersohn Erich um sie bemühen. Sie liebt Reinhardt, der jedoch für drei Jahre ans Konservatorium nach Hamburg geht. Die beiden jungen Leute schwören sich Treue, doch als Elisabeth Reinhardt unerwartet in der Hansestadt besucht, trifft sie ein fremdes Mädchen in seinem Zimmer an. Inzwischen ist Erichs Vater gestorben und er übernimmt das Gut Immenseehof. Er hält um Elisabeths Hand an. Zweimal weist sie ihn ab, doch als Reinhardt nichts von sich hören lässt,
trifft sie eine folgenschwere Entscheidung....

Bild Bild
Bereits die Titelcredits weisen charmant auf die Charakterisierung der drei Hauptpersonen hin. Elisabeth, natur- und heimatverbunden, wird mit Gänseblümchen in Verbindung gebracht; der spontane und aufgeschlossene Reinhardt mit seiner Passion, der Musik, und Erich, der stille und großzügige Bienenzüchter, mit der Wabe als Symbol seines Fleißes und seiner Beständigkeit. Ohnehin steht die Biene für mehrere Aspekte der Dreiecksverbindung: das Ausschwärmen in der Jugend, dem Einholen von Erfahrungen, dem Konkurrenzkampf um die Königin und eine reiche Ernte durch eigenen Einsatz. Die Idylle des Landlebens wird nicht durch äußere Einflüsse getrübt, sondern erlebt ihre Schattenseiten in den Gefühlen von Elisabeth und Reinhardt. Unberührt von Sorgen anderer Art (finanzielle Probleme, kriegerische Auseinandersetzungen, familiäre Fehden) konzentrieren sich die Figuren auf ihr privates Glück und die Umsetzung ihrer Lebenspläne. Dabei liegt die Tragödie schlicht in der Tatsache begründet, dass Elisabeth und Reinhardt unterschiedliche Vorstellungen von einem erfüllten Leben haben. Wieder einmal schlägt "Gleich und gleich gesellt sich gern" das aufregende, aber konfliktfördernde "Gegensätze ziehen sich an". Den musischen, drahtigen Mann zieht es hinaus in die Welt, der konservative Erbe baut seinen Besitz aus und erhält ihn für die Zukunft. Die subtile Art, in der das platonische Eheleben von Elisabeth und Erich anhand des Wagenrades auf dem Scheunendach erläutert wird, unterstreicht die Fähigkeit der Filmemacher ihrer Zeit, das Publikum zwischen den Zeilen lesen zu lassen. Die Eleganz der Formulierungen ist weitaus tiefgründiger als plakative Szenen, in denen dem Zuschauer wenig Raum für Interpretation bleibt. Die Macht der Bilder spricht das Gemüt an und soll vor allem in der Rahmenhandlung melancholisch und versöhnlich zugleich wirken, weil Gefasstheit und Konsequenz wichtige Bestandteile des Denkens der Protagonisten darstellen. Ein Festhalten an den eigenen Grundsätzen und der Überzeugung, das Richtige zu tun, ist essentiell für die Personen, weil es vordergründig von ihnen erwartet wird und sie den einmal eingeschlagenen Weg nicht verlassen können, ohne die Konvention zu verletzen.

Kristina Söderbaum prägt den Film mit ihrem sentimentalen Spiel, das ihre Figur von der naiven blonden Maid, wie sie das NS-Regime gern inszenierte, zur starken, ihrer Verantwortung verpflichteten Frau reifen lässt. Veit Harlan besetzte seine spätere Ehefrau bereits 1938 für die Hauptrolle in "Jugend" und sah in dem "süßen Mädel" das Potenzial für eine große Schauspielerin. Ihre gefasste Haltung in der Rahmenhandlung kontrastiert mit der Darstellung der anhänglichen, unverfälschten Unschuld vom Lande. Mit blonden Locken, rotem Mund und großen blauen Augen ist sie das ideale Traumbild des Kinos der Vierziger Jahre, als der Wunsch nach Zerstreuung mit jedem weiteren Kriegsjahr stärker wurde. Im Gegensatz zu ihrer schwedischen Kollegin Zarah Leander blieb sie in Deutschland und wirkte bis zuletzt auch in Propagandafilmen wie "Jud Süß" und "Kolberg" mit. Ihre frische Ausstrahlung berührt den Zuschauer, der mit ihr fühlt und ihr wünscht, dass sie sich für das Richtige entscheidet. Das kräftig profilierte Spiel von Carl Raddatz und die gütige Ernsthaftigkeit von Paul Klinger entzünden immer wieder neue Gefühle und locken ihre Kollegin aus der Reserve. Die Vernunft erzwingt Entschlüsse, die kurzfristig schmerzen, aber letztendlich pragmatisch angenommen werden. "Eine Welt ohne Farben - der Preis für ein nicht gelebtes Leben" nennt Markus Zimmer das Ende in seiner der DVD-Edition beiliegenden Ausführung. Umso strahlender bleiben die kräftigen Farben, derer sich die UFA-Produktion bedient, in Erinnerung. Sie vermitteln Fröhlichkeit, Leichtigkeit und Unbeschwertheit und nehmen den Zuschauer mit auf eine Landpartie unter Freunden. Die Frage, ob eine Lebensentscheidung nach Jahren Bedauern und Reue hervorruft, wird dem Publikum mit auf den Weg gegeben und ihm zur Beantwortung überlassen, nachdem die Geschichte von Elisabeth und Reinhardt erzählt worden ist. Die Verantwortung für das eigene Glück oder Unglück kann nicht weiterdelegiert werden, sondern muss von jedem selbst getragen werden, auch, wenn dies aus Angst oder Pflichtgefühl unterbleibt.

FAZIT: Stimmungsvolle Umsetzung des Storm-Klassikers, die sich vollkommen auf das Gefühl verlässt und in satten Landschaftsaufnahmen und erhabenen Melodien schwelgt. Söderbaum, Raddatz und Klinger bilden ein sympathisches Trio ohne Intrigen, lassen jedoch bis zum Schluss offen, welche Paarung sich durchsetzen wird. Die Aufnahmen in Schleswig - Holstein, Hamburg und Rom sorgen für eine Weitung des Blickfelds.

Benutzeravatar
Dschallogucker
Beiträge: 520
Registriert: Do., 10.12.2020 14:02

Re: IMMENSEE - Veit Harlan

Beitrag von Dschallogucker »

Den Film fand ich ganz in Ordnung, aber "Opfergang" gefiel mir doch noch ein ganzes Stück besser. Vielleicht kommt ja da auch noch eine Rezension von dir.

Percy Lister
Beiträge: 347
Registriert: Sa., 14.11.2020 16:15

Re: IMMENSEE - Veit Harlan

Beitrag von Percy Lister »

Vor "Opfergang" hatte ich bisher noch ein wenig Respekt, weil es ein überaus kunstvoller, symbolgeladener Film ist und ich länger daran arbeiten werde, um ihm gerecht zu werden. So geht es mir oft mit monumentalen Produktionen, die man nicht mit ein paar Kommentaren abhandeln will, sondern bei denen man tief auf den Grund gehen muss, um sie zu erschließen. Aber ich nehme Deine Rückmeldung gern als Ansporn, mich an die Analyse von "Opfergang" zu wagen.
:hut:

Antworten