DIE ABRECHNUNG - Wolfgang Becker

Sexwellen, Kriminalspaß und andere Krautploitation.
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Prisma
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DIE ABRECHNUNG - Wolfgang Becker

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● TATORT | FOLGE 52 | DIE ABRECHNUNG (D|1975)
mit Hansjörg Felmy, Karin Eickelbaum, Willy Semmelrogge und Gustl Bayrhammer
als Gäste: Maria Schell, Romuald Pekny, Rolf Becker, Irina Wanka, Ursula Grabley, Karl Renar, Andrea L’Arronge, u.a.
eine Gemeinschaftsproduktion der ARD | mit dem ORF | eine Sendung des WDR
Regie: Wolfgang Becker


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»Weil ein Spießer sich nicht vorstellen kann, dass andere Menschen einen anderen Horizont haben!«


Der wohlhabende Unternehmer Professor Stürznickel wird in seiner Villa erschlagen. Anschließend wird der Täter von seiner Schwiegertochter Evelyn (Maria Schell) auf frischer Tat ertappt und erschossen. Der Fall scheint somit klar auf der Hand zu liegen, doch Oberkommissar Haferkamp (Hansjörg Felmy) steht der Dame in Schwarz mit großem Misstrauen gegenüber, da ihr Verhalten überaus eigenartig erscheint. Ihr Anwalt, der bekannte Strafverteidiger Dr. Alexander (Romuald Pekny), war mit dem ermordeten Industriellen befreundet und verteidigt seine Schwiegertochter nur, weil sie ihm glaubhaft versichern konnte, nicht für den Mord verantwortlich zu sein, wie vehement von Haferkamp behauptet. In einem spektakulären Prozess werden Kommissar Haferkamps Theorien von Dr. Alexander zerpflückt und seine Mandantin wird freigesprochen. Allerdings ist das letzte Wort in dieser Angelegenheit noch nicht gesprochen, denn der Fall nimmt eine spektakuläre Wendung...

In der 52. Folge der laufenden "Tatort"-Reihe stellt der Essener Oberkommissar Haferkamp bereits zum fünften Mal Ermittlungen an. Hierbei handelt es sich um einen Fall, der von Anfang an auf der Hand zu liegen scheint: ein Einbrecher erschlägt den reichen Hausherrn, seine Schwiegertochter überrascht den Eindringling und streckt ihn im Affekt nieder. Doch ist wirklich alles so simpel, wenn die Karten so offensichtlich auf dem Tisch liegen? Erfahrungsgemäß und aller Wahrscheinlichkeit nach wohl nicht, denn immerhin befindet sich der Zuschauer in einer Folge von Krimi-Spezialist Wolfgang Becker, der darüber hinaus für seine nicht selten beeindruckenden Twists bekannt ist. Der Berliner Regisseur inszeniert von Anfang an sehr geradlinig und bietet eine gespenstische Ruhe am Ort des Verbrechens an, was einen alten Hasen wie Haferkamp naturgemäß irritieren wird. Die Konstruktion der Geschichte ist von Beginn an eng mit Gast-Star Maria Schell verwebt worden, was noch für viele widersprüchlich Eindrücke sorgen wird, da Schell immerhin jede Maske tragen und jede Rolle mit Leichtigkeit interpretieren konnte. Es ist daher eine große Freude, dass die Wahl-Schweizerin mit Weltstar-Status recht häufig in derartigen Krimi-Formaten zu sehen war, da die Kriminalfälle ihrerseits mit einer ganz seltenen Aura ausstaffiert werden. Dem Empfinden nach kann der Kurs somit in alle Richtungen führen, was hier allerdings strikt zugunsten schneller Schuldzuweisungen vermieden wird. Schell sorgt für Kontraste nach Art des Hauses, außerdem für Geheimnisse, Misstrauen oder pauschale Widerstände. In der Zwischenzeit verstummt sie als Haupt-Akteurin in einer undurchsichtigen Geschichte, die zunächst betont durchsichtig zu sein scheint, bis es zu ersten Paukenschlägen kommt, die die Kombinationsgabe und den Sachverstand von Kommissar Haferkamp erschüttern und die Intuition des Publikums gleich mit.

Es ist stets hoch interessant, wenn man das Gefühl nicht abwenden kann, dass bei einem bestimmten Fall irgend etwas nicht zu stimmen scheint. Es ist einem, als könne man es mit Namen nennen, doch der Schlüssel ist unauffindbar. Episode 52 ist genau auf diesem Prinzip aufgebaut und falls man sich den Titel dieser Folge ins Gedächtnis ruft, ist zu erahnen, dass möglicherweise Altlasten der Vergangenheit zu bewältigen sind, die im Nebel der Verschleierung nur noch nicht zu erkennen sind. Langsam ergeben sich Konturen, doch es scheint stets irgend einen Denkfehler oder Haken zu geben, was Haferkamp ins Stocken geraten lässt. In diesem Zusammenhang ist Hansjörg Felmys bereits routiniert wirkende Interpretation des Essener Polizeimanns zu erwähnen, die paradoxerweise erfrischend wirkt, weil sie monoton und unaufgeregt ist. Da Haferkamp vor Gericht empfindlich von Dr. Alexander vorgeführt wurde, er sich jedoch absolut sicher ist, dass seine Theorie der Wahrheit entspricht, kommt es zum Herausfordern seiner Eitelkeit als (Polizei)Mann. Bei seinen Kontrahenten handelt es sich um klassische Emporkömmlinge der sogenannten besseren Gesellschaft. Bei dieser Gelegenheit wird abermals klar, dass selbst das Verbrechen keine Klassenunterschiede kennt und es wimmelt manchmal nur so von Arroganz, Hochmut und Doppelzüngigkeit. Hier fällt insbesondere ein brillant agierender Romualt Pekny auf, der die Antipathie des Publikums mit seiner aalglatten und überheblichen Art geradezu einfordert, seine Integrität aber nicht infrage stellt. Naturgemäß hat Maria Schell als seine Mandantin an der Seite des Star-Anwalts zu verstummen, aber es kommt trotz verschiedener Zweifel und diverser Vorbehalte zu einer nahezu entrückten Performance. Hier zeigen sich die natürlichen Stärken einer Maria Schell, die stets das Potential besitzt, den Zuschauer mitzunehmen, denn selbst, wenn sie wie zu Beginn auf frischer Tat ertappt wird, möchte man einfach an ihre Unschuld glauben.

Vor Gericht herrscht ihrerseits das große Schweigen, da sie immerhin in der Lage ist, das üppige Salär für ihr Sprachrohr aufzubringen, und es wirkt im Fall Evelyn Stürznickel alias Maria Schell sehr beeindruckend, sie in emotional gedrosseltem Modus begleiten zu können, obwohl es eigentlich nur so aus ihr heraussprudeln müsste. Bei diesen Gelegenheiten beschäftigt sich die Kamera interessiert mit dem hier oft versteckten Gesicht und der versteinerten Miene von der in Trauer gehüllten Frau, von der man absolut sicher ist, dass sie der Schlüssel für des Rätsels Lösung sein muss. Doch auch hier gelingt es Wolfgang Becker immer wieder sehr nachhaltig, begründete Zweifel zu schüren, indem er auf die restlichen Personen dieser Scharade verweist. Hier sind neben den bereits erwähnten Personen Rolf Becker und Irina Wanka zu nennen, die den Zuschauer entweder mit halsbrecherischer Offensive oder unverständlicher Destruktivität reizen. Erwähnenswert ist des Weiteren noch der Kurzauftritt von Gustl Bayrhammer als Kommissar Veigl, der erneut wie ein Querverweis auf alternative Herangehensweisen im "Tatort"-Orbit wirkt. Am Ende wird sich eindrucksvoll herausstellen, dass die Regie den Wortlaut des Episoden-Namens geistreich multiplizieren konnte, und der Fall überzeugt aufgrund seines sorgsamen und vollkommen logischen Aufbaus. "Die Abrechnung" bietet zudem den Vorteil von packenden Szenen am Gericht, die den Fall sogar vorzeitig abschließen, ohne einen adäquaten Täter anzubieten. Hansjörg Felmy als ermittelnder Kommissar lässt sich mehr, beziehungsweise offensichtlicher als sonst aus der Reserve locken, was zusätzlich von seiner ständigen Wegbegleiterin und Ex-Frau Karin Eickelbaum befeuert wird, die wie immer für ausgleichende und reflektierende Momente sorgen kann. Wolfgang Becker ist mit dieser Episode ein Beitrag zur beliebten Serie gelungen, der vielleicht nicht als Klassiker in die TV-Geschichte eingegangen aber bestimmt als Volltreffer zu bezeichnen ist.

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