WEG OHNE UMKEHR - Victor Vicas

Sexwellen, Kriminalspaß und andere Krautploitation.
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Percy Lister
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Registriert: Sa., 14.11.2020 16:15

WEG OHNE UMKEHR - Victor Vicas

Beitrag von Percy Lister »

"Weg ohne Umkehr" (Deutschland 1953)
mit: Ivan Desny, Ruth Niehaus, René Deltgen, Karl John, Sergej Belousow, Lila Kedrova, Alf Marholm, Leonid Pylaev, Erika Dannhoff, John Haggarty, Wolfgang Neuss, Reinhard Kolldehoff u.a. | Drehbuch: Gerhard T. Buchholz, Victor Vicas | Regie: Victor Vicas

Berlin, Mai 1945. Soldaten der Roten Armee beziehen ein ausgebombtes Haus. Unter ihnen Major Michael Zorin. Eines Nachts entdeckt er eine junge Deutsche, die Kartoffeln aus dem Keller holen wollte. Er begleitet sie nach Hause und schickt ihr am nächsten Tag ein Lebensmittelpaket. Wenig später wird er nach Russland zurückberufen. Sieben Jahre vergehen. Ingenieur Zorin kehrt nach Berlin zurück und sucht nach der jungen Frau, die mittlerweile im Büro eines hochrangigen russischen Offiziers im Ostsektor der Stadt arbeitet. Als ein Mordanschlag auf Michael verübt wird, zeigt sich die Gefahr, die dem liberal gesinnten Mann in der geteilten Stadt droht....

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Das große Verdienst des Films ist, dass er die politischen Lager anhand von Einzelschicksalen differenziert. So findet die Deutsche Anna ausgerechnet in einem Mitglied des gefürchteten russischen Heeres einen wohlmeinenden Freund; misstraut ein Angestellter eines kommunistischen Betriebs seinen eigenen Leuten und gibt es unerwartete Solidarität bzw. verhängnisvolle Fallstricke auf beiden Seiten. Der Sympathieträger des Films kommt in Gestalt des Kosmopoliten Ivan Desny überaus angenehm daher. Er überzeugt durch sein souveränes Handeln, das vorausschauend und fern jeder Agitation abläuft. Die Rolle des listigen, eiskalten Gegners fällt René Deltgen zu, der grob und bedrohlich erscheint und sich in fließendem Russisch mit seinem Kollegen Desny unterhält. Durch den authentischen Einsatz der Sprachen in den vier Besatzungszonen erhält die Produktion eine besondere Note. Man merkt, dass die Zeitgeschichte hier aus dem Vorhandenen schöpft, was auch die vielerorts noch präsenten Trümmerberge deutlich veranschaulichen. Es gelingt spielend, den Bogen von der unstabilen Lage nach der deutschen Kapitulation im Frühjahr 1945 zu den Restriktionen des Ostsektors zu spannen. In seiner schlichten Bildsprache wird Vieles angedeutet, während Gedanken und Gefühle unter Verschluss gehalten werden. Die Personen wirken sehr kontrolliert, obwohl man ihnen ansieht, dass ihr Leben schon längst aus der Kontrolle geraten ist. Die Selbstverleugnung zugunsten des (gesellschaftlichen) Überlebens zehrt an der Achtung, derer die Figuren bedürfen. Wer sich von den Fesseln befreien will, bezahlt mit dem Leben, weswegen bereits ein unbedachtes Wort zu großen Schwierigkeiten führen kann.

Karl John kommt eine wichtige Schlüsselfigur zu, der er mit seiner spröden, kritischen Art sehr gut entspricht. Er streut Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Handelns seiner Umgebung, hinterfragt Abläufe und beweist durch zwei kühne Taten Mut. Ruth Niehaus als Anna Brückner findet sich auf sich allein gestellt und glaubt anfangs allein aufgrund der positiven Begegnung nach Kriegsende an die friedliche Ideologie der neuen Machthaber. Durch das Wiedersehen mit Mischa wird ihr klar, dass ihre gesicherte Position mit Unfreiheit erkauft wurde und sie sich davon lösen muss. Ihr natürliches, ernsthaftes Wesen steht im Gegensatz zum Putz anderer Frauen, die sich in den Fünfziger Jahren schon wieder in die Rolle des dekorativen Elements fügten. Bestes Beispiel dafür ist eine laute Lila Kedrova, deren Bedürfnis nach Aufmerksamkeit wie ein Scheinwerfer neben einer Kerze wirkt. Dabei sind es gerade die leisen, wortlosen Szenen, derer man sich erinnert. Das stumme Entsetzen, die stille Resignation und die unausgesprochenen Wahrheiten sorgen dafür, dass der Film ohne falschen Pathos oder bemühte Romantik auskommt. Die Meriten von "Weg ohne Umkehr" erkannte auch das englischsprachige Ausland, wo der "Golden Globe" als "Bester ausländischer Film" errungen wurde. Die Schauplätze untermalen die Geschichte mit der schlichten Funktionalität von U-Bahn-Stationen wie dem Halt Spittelmarkt, der langen Allee zum Brandenburger Tor aus der Vogelperspektive und dem Wechsel vom brach liegenden Osten in den hellen und modernen Westen anhand einer Straßenbahnfahrt. Die schwere Opulenz der russischen Zentrale, in der Major Kazanow wie eine unheimliche Spinne in ihrem Netz sitzt, bildet das strafende Element für alle Disziplinlosen und Abtrünnigen. Ivan Desny als charismatischer russischer Ingenieur und Ruth Niehaus als deutsche Sekretärin bilden den Fixpunkt in dieser Geschichte um Verrat, Flucht und Menschenverachtung, deren Spannung kontinuierlich mit beklemmendem Realismus einhergeht.

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