ZEUGIN AUS DER HÖLLE - Živorad Mitrović

Sexwellen, Kriminalspaß und andere Krautploitation.
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Prisma
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ZEUGIN AUS DER HÖLLE - Živorad Mitrović

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ZEUGIN AUS DER HÖLLE


● ZEUGIN AUS DER HÖLLE / GORKE TRAVE (D|JUG|1966)
mit Irene Papas, Daniel Gélin, Heinz Drache, Werner Peters, Alice Treff, Hans Zesch-Ballot, Branco Tatić und Jean Claudio
eine Produktion der cCc Filmkunst | Avala Film | im Rank Verleih
ein Film von Žika Mitrović

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»Schickt mich nicht wieder in die Hölle!«


Unmittelbar nach Kriegsende veröffentlicht der Schriftsteller Bora Petrovic (Daniel Gélin) ein brisantes Buch, das über die Geschichte der jüdischen KZ-Überlebenden Lea Weiss (Irene Papas) und die bestialischen Verbrechen in deutschen Vernichtungslagern berichtet. Lea wurde sterilisiert, im Lagerbordell und bei abscheulichen Experimenten eingesetzt, außerdem musste sie die Geliebte eines unmenschlichen SS-Arztes werden. Zwanzig Jahre später stößt Staatsanwalt Hoffmann (Heinz Drache) auf das Buch und beschließt, einen Prozess anstrengen, bei dem Lea gegen ihre Peiniger aussagen soll. In Lea werden allerdings Erinnerungen wach, die ohnehin nie ruhen konnten...

Die Arbeit des serbischen Regisseurs Žika Mitrović kann bereits im Vorfeld mit großen Erwartungen verknüpft werden, immerhin handelt es sich um einen der wenigen deutschen Filme, die sich mit der Psyche von Holocaust-Überlebenden beschäftigen. Der Fall der polnischen Jüdin Lea Weiss wird zwanzig Jahre später wieder aufgerollt; einem Zeitrahmen, der für die Betroffene bereits mehr als eine Ewigkeit gewesen sein muss, immerhin laugt es mental aus, wenn man dazu verurteilt ist, immer wieder vergessen zu wollen und auch zu müssen. Die Inszenierung empfiehlt sich mit einem sehr klaren Aufbau, wenngleich der Eindruck entsteht, dass die Geschichte nicht immer sehr plausibel ist. Der Verlauf zeigt aber mithilfe teils eindringlichster Dialoge und überaus erschütternden Bildern, dass zur NS-Zeit das Unwahrscheinlichste offenbar die neue Wahrscheinlichkeit gewesen sein muss. Die schwere Anklage gegen den Krieg und die schrecklichen Machenschaften verdichten sich zusehends, aber es gibt auch unbequeme Seitenhiebe in Richtung einer selbstzweckhaften Justiz, die mit verbundenen Augen in ein Hornissennest gestochen hat. Der Verlauf besteht hauptsächlich aus trügerischer und daher irritierender Ruhe, doch man ahnt, dass die Katastrophe nicht ausbleiben kann. Dichte Charakterzeichnungen, bizarre Traumsequenzen und verschwommene Rückblenden wissen auf heimtückische Art und Weise zu fesseln und die Besetzung wirkt innerhalb dieser Allianz besonders erstklassig, was hauptsächlich auf die Hauptrollen und die entsprechenden Charakterzeichnugen von Irene Papas und Daniel Gélin zutrifft. Die Besetzung strahlt in einer Aura internationalen Formats, in welches sich erfreulicherweise auch die bekannten deutschen Akteure einreihen.

Irene Papas überzeugt gerade wegen ihrer herben Erscheinung und ihrer Zurückhaltung nicht nur in optischer, sondern vor allem darstellerischer Hinsicht. Zunächst hat sich Lea Weiss stets im Schutzgriff und präsentiert eine Fassade, die sie nach all ihren Erlebnissen aufbauen musste, um weiter existieren zu können. Insbesondere in den beklemmenden Traumsequenzen und Situationen, in denen sie von der Staatsanwaltschaft nahezu bedrängt wird, verliert sie immer mehr die Nerven und es schießen plötzlich halluzinatorische Tendenzen wahnhafter und hysterischer Natur ein, die Abgründe erahnen lassen, die man allerdings nicht in Kontur bringen kann. Einmal verlangt sie, man solle das Fenster schließen, da sie keine Luft bekomme, was man zunächst nicht verstehen kann. Als sie immer mehr von ihren Erlebnissen preisgibt und schließlich vom schwarzen Rauch spricht, der aus dem Krematorium kommt, wird der Zuschauer plötzlich gezwungen zu erahnen. Irene Papas wirkt stets präzise und sie versteht es, den Zuschauer mitzureißen, denn sie zeichnet im Endeffekt eine Frau, die das Leben eigentlich einmal sehr geliebt hat. Dabei wird ihr jetziges Dasein noch nicht einmal von Rachegefühlen und Hass dominiert, sondern von schrecklicher Angst, die sich durch essentielle Lebensbereiche windet. Daniel Gélin spielt Bora Petrovic, den Autor des Buches, welches die Kettenreaktion nach zwei Jahrzehnten auslösen wird. Er ist der ohnmächtig-ruhige Pol, der machtlose Puffer zwischen Opfer und Justiz und gerät immer wieder zwischen die Fronten. Jeder Blick von Lea ist wie ein schwerwiegender Vorwurf in seine Richtung, jede Berührung führt ihm vor Augen, dass die alte Liaison noch längst nicht abgeschlossen ist, aber beide lassen keine Spur von Hoffnung durchschimmern.

Gélin überzeugt mit seiner wohldosierten Strategie und kreiert gemeinsam mit Irene Papas einen doppelten Boden im Zusammenspiel und beim Zeichnen glaubhafter Psychogramme. Von deutscher Seite ist mit Werner Peters ein guter Bekannter zu sehen und er wirkt abermals wie der Wolf, der Kreide gefressen hat. Alice Treff symbolisiert eine der unzähligen Steigbügelhalter des damaligen Systems und brilliert erneut mit völlig blasiertem Gehabe, das in ihrer Situation vornehmlich grotesk wirkt, aber vor allem setzt sie wieder erstaunliche Pointen im Rahmen der Dialoge. Heinz Drache bekommt man sofort zu Beginn als resoluten Vertreter von Recht und Ordnung zu sehen, und diese für den Verlauf eminent wichtige Rolle scheint ihm erneut auf den Leib geschneidert zu sein. Generell ist zu sagen, dass Drache angesichts dieses internationalen Verves keineswegs abfällt. Er verleiht Staatsanwalt Hoffmann - und damit der Justiz - die perfekte Verkörperung und überzeugt mit hartnäckigem bis rücksichtslosem Vorgehen, denn sein Blick ist in aller Konsequenz zielgerichtet, da er einem Schwerverbrecher das Handwerk legen will. Einfühlungsvermögen und Kompromissbereitschaft gehören in seinem Metier nicht zur Tagesordnung und fehlen daher beinahe vollkommen. Dass er dabei längst im Begriff ist, eine Katastrophe auszulösen, scheint er nicht zu sehen, genau wie es bei Petrovic der Fall ist, allerdings hier in unterschiedlicher Art und Weise. Als Einheit gesehen erweist sich "Zeugin aus der Hölle" trotz der teils eindringlichen Bilder und abstoßender Wendungen zunächst als eher stilles Plädoyer, auch wenn mehrere Seiten immer vehementer auf das Opfer einwirken. Laut wird es schließlich in der Fantasie des Zuschauers, der Verlauf nimmt teils unvermutete Züge an. Man wünscht sich, dass man Lea doch einfach in Ruhe lassen sollte.

Auch in Situationen, die sich immer mehr zuspitzen, ist der Weisheit letzter Schluss, dass man eigentlich selbst nichts mehr hören und sehen möchte. Doch die unbarmherzigen Vertreter der Justiz und die Naivität von Beteiligten, die es ihrer Ansicht nach nur gut meinen, zeigen in einem immer unmissverständlicher werdenden Verlauf, dass die Tragödie, wie sie denn auch immer aussehen mag, nicht ausbleiben kann, beziehungsweise ihren weiteren Verlauf nehmen muss. Harte Schwarzweiß-Kontraste und eine stets passend gewählte Musik schüren diesen Eindruck zusätzlich, und auch die Suche nach Dr. Berger, einem Phantom aus der SS-Zeit, sorgt für großes Unbehagen sowie eine unbequeme Grundspannung. Das Auftauchen schrecklicher Details von Damals nimmt in Gedanken Formen an, die für eine besondere Form der Trostlosigkeit sorgen. Dr. Berger taucht immer nur in Leas Träumen auf, bis Hoffmann und Pertovic schließlich ein Interview mit ihm sehen. Ungläubig hört man der Selbstgefälligkeit des ehemaligen SS-Offiziers zu, der permanent abwiegelt und herunterspielt. Bei Schilderungen, die auf Experimente am lebenden Objekt hindeuten, stockt einem der Atem, weil Berger mit ekelhafter Selbstverständlichkeit argumentiert, sich im Endeffekt noch als Wohltäter der Menschheit hinstellt. Das Finale hält aufgrund des dichten Aufbaus ein schlimmes Déjà-vu bereit, die erschütternde Thematik und eine schraubzwingenartige Dramatik wirken schlussendlich verstörend. Insgesamt ist Žika Mitrović ein eindrucksvoller Beitrag gelungen, der ein Mosaik zusammenfügt. Klassische und bizarre Stilmittel leiten einen empfundenen Transfer zur Realität ein, auch die Zeichnung verschiedener Psychogramme ist sehr geglückt, und es kommt zu einem runden, aber auch bedrückenden Gesamtergebnis.

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Sid Vicious
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Re: ZEUGIN AUS DER HÖLLE - Živorad Mitrović

Beitrag von Sid Vicious »

Ich finde ZEUGIN AUS DER HÖLLE, den ich im letzten Jahr erstmals sichten durfte, wirklich sehr gut. Ich bin sehr schnell in den Film reingekommen, einhergehend von der unangenehmen Thematik gefangen genommen und schlussendlich mit einem ebenso unangenehmen Gefühl, das mir einige Stunden erhalten blieb, entlassen worden.
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Prisma
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Re: ZEUGIN AUS DER HÖLLE - Živorad Mitrović

Beitrag von Prisma »



Also ich kann diesen Film auch nur empfehlen, denn die Thematik wurde in dieser Form nicht häufig im deutschen Film abgehandelt, vor allem nicht zu dieser Zeit und derartig intensiv. Die Begleitung von Irene Papas stellt sicherlich alles andere als einen Spaziergang dar, vor allem, weil es sich um keine Fantasiegeschichte handelt, aber sehenswert ist der global gesehen schwere Stoff allemal. Freunde der deutschen Interpreten werden sich über großartige Leistungen freuen können, insbesondere von Werner Peters, Alice Treff und sogar Heinz Drache, der von der Regie merklich aus seiner Komfortzone herausgezwungen wird.

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Sid Vicious
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Re: ZEUGIN AUS DER HÖLLE - Živorad Mitrović

Beitrag von Sid Vicious »

Prisma hat geschrieben:
So., 28.03.2021 20:44


Freunde der deutschen Interpreten werden sich über großartige Leistungen freuen können, insbesondere von Werner Peters, Alice Treff und sogar Heinz Drache, der von der Regie merklich aus seiner Komfortzone herausgezwungen wird.
Das mit dem Drache kann man so unterschreiben. :)
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Richie Pistilli
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Re: ZEUGIN AUS DER HÖLLE - Živorad Mitrović

Beitrag von Richie Pistilli »

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Deutsche Erstaufführung: 20.09.67 (Kino), 08.03.2001 (TV)

Kinoportal

OFDb




Ein sehr beeindruckender Film, der obendrein zu den ambitioniertesten Arbeiten der CCC-Studios zählen dürfte. Irene Papas spielt eindrucksvoll ein ehemaliges KZ-Opfer, das in einem Prozess der 'Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg' gegen einen NS-Verbrecher aussagen soll. Doch leider befindet sich Irene Papas wie eine hilfloses Insekt im Netz der braunen Spinne gefangen, das von den braunen Kameraden und ihren Sympathisanten durch jegliche institutionelle als auch gesellschaftliche Instanzen gespannt wurde. Werner Peters verkörpert zudem einen gnadenlosen Nazi-Anwalt, der 'der stillen Hilfe' entsprungen sein könnte. Ein überwältigendes Drama, dass die katastrophalen Konsequenzen der gescheiterten Entnazifizierung ungeschönt in Szene setzt.


Prisma hat geschrieben:
So., 28.03.2021 20:44
Freunde der deutschen Interpreten werden sich über großartige Leistungen freuen können, insbesondere von Werner Peters, Alice Treff und sogar Heinz Drache, der von der Regie merklich aus seiner Komfortzone herausgezwungen wird.

Obwohl ich bekannterweise mit der Person Heinz Drache nicht so richtig warm werde, muss ich gestehen, dass mich seine Darbietung als RA Hoffmann voll und ganz überzeugte.




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Prisma
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Re: ZEUGIN AUS DER HÖLLE - Živorad Mitrović

Beitrag von Prisma »



Oh, das Drache-Zitat wurde gleich zweimal zitiert. :D

Wir hatten es früher ja schon häufiger über seine Wirkung, und auch bei mir hat sich da im Wesentlichen nicht viel an den alten Eindrücken geändert. Es ist allerdings gut, dass er sich in solchen Filmen wirklich freispielen kann; vielleicht lag es ja am Angebot der obligatorischen Rollen für ihn, die er letztlich meistens zu spielen hatte. Nichtsdestotrotz kann ich "Zeugin aus der Hölle" nur jedem empfehlen. Kein leichter Stoff, schmerzhaft arrangiert aber hervorragend inszeniert.

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Richie Pistilli
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Re: ZEUGIN AUS DER HÖLLE - Živorad Mitrović

Beitrag von Richie Pistilli »

Prisma hat geschrieben:
Do., 16.09.2021 20:32
Wir hatten es früher ja schon häufiger über seine Wirkung, und auch bei mir hat sich da im Wesentlichen nicht viel an den alten Eindrücken geändert. Es ist allerdings gut, dass er sich in solchen Filmen wirklich freispielen kann; vielleicht lag es ja am Angebot der obligatorischen Rollen für ihn, die er letztlich meistens zu spielen hatte.

Keine Ahnung warum, aber die vorliegenden Rolle von Heinz Drache wirkt auf mich weitaus nicht so unangenehm, wie es ansonsten bei ihm der Fall ist. Eigentlich mag ich ihm nichts böses, aber er schafft es halt immer wieder, bei mir einen unangenehmen Eindruck zu hinterlassen. Irgendetwas schwingt bei seiner Persönlichkeit mit, das ich unterbewusst nicht mag.



Prisma hat geschrieben:
Do., 16.09.2021 20:32
Nichtsdestotrotz kann ich "Zeugin aus der Hölle" nur jedem empfehlen. Kein leichter Stoff, schmerzhaft arrangiert aber hervorragend inszeniert.

Dieser Empfehlung kann ich mich nur anschließen!
Eine der beeindruckendsten CCC-Produktionen.

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Richie Pistilli
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Re: ZEUGIN AUS DER HÖLLE - Živorad Mitrović

Beitrag von Richie Pistilli »

Artur Brauners ZEUGIN AUS DER HÖLLE zählt für mich zu den sowohl aufwühlendsten als auch zugleich beeindruckendsten Filmproduktionen aus deutschen Landen. Ein beklemmendes Meisterwerk, dass den Zuschauer vollends gefangen nimmt und nach seinem bitteren Ende auch so schnell nicht mehr loslässt. Und genauso ergeht es mir heute, nachdem ich mir den Film gestern Abend ein weiteres Mal angesehen habe. Augenscheinlich dienten dem Film die 1965 beginnenden Ausschwitzprozesse als Inspirationsquelle, die wiederum in der deutschen Gesellschaft zu heftigen Debatten führten. Leider wurde dem brillanten Film ein kommerzieller Erfolg verwehrt. Offensichtlich benötigte ein Großteil der Nachkriegsgesellschaft vielmehr eine TV-Serie (Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss), um endlich 1979 aufgeweckt zu werden. Dabei hätte dies bereits 18 Jahren früher geschehen können, denn Brauners ZEUGIN AUS DER HÖLLE offenbart nicht nur eindrucksvoll die grausamen Kriegsverbrechen, die während der NS-Zeit vor den Augen des deutschen Volkes begangen wurden, sondern zeigt auch den typischen Terror auf, den Alt-Nazis und andere braune Kameraden nach 1945 unvermindert an den in ihren Augen missliebigen Bürgern ausübten bzw. auch heute noch ausüben.


Prisma hat geschrieben:
Do., 16.09.2021 20:32
Dr. Berger taucht immer nur in Leas Träumen auf, bis Hoffmann und Pertovic schließlich ein Interview mit ihm sehen. Ungläubig hört man der Selbstgefälligkeit des ehemaligen SS-Offiziers zu, der permanent abwiegelt und herunterspielt. Bei Schilderungen, die auf Experimente am lebenden Objekt hindeuten, stockt einem der Atem, weil Berger mit ekelhafter Selbstverständlichkeit argumentiert, sich im Endeffekt noch als Wohltäter der Menschheit hinstellt.

Diese aufgezeigten Strategien, die sich gerade heutzutage in der neurechten sowie neonazistischen Szene unvermindert einer großen Beliebtheit erfreuen, sind absolut typisch für das neonazistische Lager, denn wenn der braune Mob etwas beherrscht, dann ist das Verleugnen, Verharmlosen und Revidieren von grausamen Kriegsverbrechen und anderen Unmenschlichkeiten.



Prisma hat geschrieben:
Do., 16.09.2021 20:32
Insbesondere in den beklemmenden Traumsequenzen und Situationen, in denen sie von der Staatsanwaltschaft nahezu bedrängt wird, verliert sie immer mehr die Nerven und es schießen plötzlich halluzinatorische Tendenzen wahnhafter und hysterischer Natur ein, die Abgründe erahnen lassen, die man allerdings nicht in Kontur bringen kann (...) Generell ist zu sagen, dass Drache angesichts dieses internationalen Verves keineswegs abfällt. Er verleiht Staatsanwalt Hoffmann - und damit der Justiz - die perfekte Verkörperung und überzeugt mit hartnäckigem bis rücksichtslosem Vorgehen, denn sein Blick ist in aller Konsequenz zielgerichtet, da er einem Schwerverbrecher das Handwerk legen will. Einfühlungsvermögen und Kompromissbereitschaft gehören in seinem Metier nicht zur Tagesordnung und fehlen daher beinahe vollkommen.

Somit degradiert sein unsensibler Umgang die polnische Jüdin Lea Weiss erneut zu einem Opfer, was stellenweise für mich schwer auszuhalten war. Hinzu kommt der ständige Terror durch die braunen Kameraden, die seit 1945 ungehindert ihr faschistisches Netzwerk im Nachkriegsdeutschland ausbauten. Was zunächst mit dem Odessa-Netzwerk (Organisation der ehemaligen/entlassenen SS-Angehörigen) seinen Anfang nahm, wurde in den Folgejahren durch Organisationen wie beispielsweise die HIAG (Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS e.V.) oder die 'Stille Hilfe' ungehindert fortgeführt. Mitglieder dieser Organsisationen waren bekannt dafür, unliebsame Gegner, gerade in Zeiten der Kriegsverbrechertribunale, mit Terroraktionen gefügig bzw. mundtot zu machen. Und genauso ergeht es auch Lea Weiss im vorliegenden Film, die durch den ständigen Terror der braunen Kameraden mürbe gemacht, eingeschüchtert und in Todesangst versetzt wird. Die Folge ist eine aufkeimende Paranoia, durch die sich die Hauptprotagonistin entweder ständig auf der Flucht befindet oder zum Rückzug in die Einsamkeit gedrängt wird. Somit bleibt sie ihr Leben lang ein Opfer, dass in der unentnazifizierten BRD niemals seine Ruhe findet. Gefangen im braunen Netz, das seine Fäden beständig bis in die Gegenwart weiterspinnt. Völlig anders sieht die Sache bei dem barbarischen Täter Dr. Berger aus, der trotz seiner abartigen Menschheitsverbrechen im Nachkriegsdeutschland einen festen Platz in der bürgerlichen Mitte gefunden hat, und zwar als angesehener Direktor eines Pharmaunternehmens. Angesichts der nie richtig stattgefundenen Vergangenheitsbewältigung ist es für mich kaum auszuhalten, wenn ein verabscheuungswürdiger Faschist wie Björn Höcke heutzutage eine 'erinnerungspolitische Wende um 180 Grad' fordert und das Gedenken an den nationalsozialistischen Völkermord durch seine 'Denkmal der Schande'-Rede aufs Übelste herabwürdigt. "Faschisten hören (eben) niemals auf, Faschisten zu sein". Und erst recht nicht, wenn man sie seit über 75 Jahren ungehindert schalten und walten lässt.


Prisma hat geschrieben:
Do., 16.09.2021 20:32
Als sie immer mehr von ihren Erlebnissen preisgibt und schließlich vom schwarzen Rauch spricht, der aus dem Krematorium kommt, wird der Zuschauer plötzlich gezwungen zu erahnen.

Für mich eine der bedrückendsten Stellen im Film, die mich jedes Mal wieder aufs Neue innerlich verstummen lässt.




Wie es obendrein scheint, soll die jugoslawische Filmfassung im Vergleich zur deutschen Kinofassung eine längere Laufzeit aufweisen.
Hoffe daher weiterhin, dass dieses filmische Meisterwerk irgendwann mal hierzulande mit der längeren Fassung als BD veröffentlicht wird.

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Prisma
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Re: ZEUGIN AUS DER HÖLLE - Živorad Mitrović

Beitrag von Prisma »

Richie Pistilli hat geschrieben:
Mo., 13.02.2023 21:22
Leider wurde dem brillanten Film ein kommerzieller Erfolg verwehrt.

Dieses Schicksal teilen leider viele derartige Filme. Es gab dann zwar meistens ganz gute Kritiken, aber ich fürchte, das hat dann noch mehr Leute abgeschreckt. Aber abgesehen davon, muss man einfach froh sein, dass es diese Produktionen gibt, die sich Themen annehmen, die nicht einfach in der Fasson eines handelsüblichen Unterhaltungsfilms abgearbeitet werden konnten, und die sich auch anders definieren, dadurch auch keine Verjährungsfrist besitzen. Vielleicht sind die eigenen Gedanken bis ins Jahr 1966 einfach zu kurz, wenn man sich sagt, dass das alles so weit weg ist und noch länger zurückliegt, als das eigentliche Produktionsjahr. Um eines Besseren belehrt zu werden, muss man tatsächlich nur die Augen und Ohren aufsperren und sich genau heute, im Hier und Jetzt umsehen und umhören. Das gilt wohl leider auch für morgen und die ferne Zukunft. Interessant und erschreckend zugleich, dass sich dieser Kreis nie schließen wird. Schade finde ich übrigens auch, dass die Veröffentlichung offensichtlich auch nicht sehr viele Zuschauer erreicht hat, denn von Meinungen zum Film und dessen Qualitäten war nur sporadisch was zu hören.

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Richie Pistilli
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Re: ZEUGIN AUS DER HÖLLE - Živorad Mitrović

Beitrag von Richie Pistilli »

Prisma hat geschrieben:
Mi., 15.02.2023 16:32
Vielleicht sind die eigenen Gedanken bis ins Jahr 1966 einfach zu kurz, wenn man sich sagt, dass das alles so weit weg ist und noch länger zurückliegt, als das eigentliche Produktionsjahr. Um eines Besseren belehrt zu werden, muss man tatsächlich nur die Augen und Ohren aufsperren und sich genau heute, im Hier und Jetzt umsehen und umhören. Das gilt wohl leider auch für morgen und die ferne Zukunft. Interessant und erschreckend zugleich, dass sich dieser Kreis nie schließen wird.

Sehr gut auf den Punkt gebracht. Ich finde es beispielsweise erschreckend, mit welcher Selbstverständlichkeit 'querdenkende' Menschen aus der bürgerlichen Mitte heutzutage unreflektiert pseudogeschichtliche Argumentationen von sich geben, deren Ursprünge sowohl bei den Revisionisten nach dem ersten Weltkrieg als auch bei den frühen Holocaust-Leugnern (Maurice Bardèche, Paul Rassinier, Harry Elmer Barnes) zu finden sind. Gleiches gilt auch für die pseudowissenschaftlichen Fake-Studien, deren Zustandekommen ebenfalls auf den altbewährten Strategien sowie dummdreisten Verleugnungstechniken beruhen.



Prisma hat geschrieben:
Mi., 15.02.2023 16:32
Dieses Schicksal teilen leider viele derartige Filme. Es gab dann zwar meistens ganz gute Kritiken, aber ich fürchte, das hat dann noch mehr Leute abgeschreckt. Aber abgesehen davon, muss man einfach froh sein, dass es diese Produktionen gibt, die sich Themen annehmen, die nicht einfach in der Fasson eines handelsüblichen Unterhaltungsfilms abgearbeitet werden konnten, und die sich auch anders definieren, dadurch auch keine Verjährungsfrist besitzen. (...) Schade finde ich übrigens auch, dass die Veröffentlichung offensichtlich auch nicht sehr viele Zuschauer erreicht hat, denn von Meinungen zum Film und dessen Qualitäten war nur sporadisch was zu hören.

Während die Verdrängung der damals noch recht jungen Geschichte offensichtlich recht reibungslos verlief, haperte es augenscheinlich mit der Aufarbeitung der NS-Zeit an allen Ecken und Enden, wobei dies nicht nur durch das unverminderte ideologische Agieren unzähliger Alt-Nazis in den staatlichen Institutionen erschwert wurde, sondern auch an der fehlenden Bereitschaft in großen Teilen der Nachkriegsgesellschaft scheiterte. Viele wollten offensichtlich weiterhin nichts hören, sehen oder sagen, was wiederum dazu führte, dass solch ambitionierte Filme wie beispielsweise ZEUGIN AUS DER HÖLLE sang und klanglos untergingen.

Mich würde mal interessieren, wieviele solcher Filme hierzulande produziert wurden, die sich mit der Aufarbeitung der NS-Zeit befassten. Die einzigen Filmtitel, die ich neben ZEUGIN AUS DER HÖLLE ausfindig machen konnte, sind EIN TAG - BERICHT AUS EINEM DEUTSCHEN KONZENTRATIONSLAGER 1939 (1965) von Egon Monk, DIE ERMITTLUNG (1966) von Peter Schulze-Rohr, MORD IN FRANKFURT (1968) von Rolf Hädrich sowie der dokumentarische TV-Dreiteiler DER PROZEß - EINE DARSTELLUNG DES MAJDANEK-VERFAHRENS IN DÜSSELDORF (1984) von Eberhard Fechner. Darüber hinaus bin auch noch zufällig auf die englisch-amerikanische Filmproduktion VERLEUGNUNG von 2016 gestoßen, der die gerichtliche Auseinandersetzung zwischen der US-amerikanischen Historikerin Deborah Lipstadt und dem britischen Holocaust-Leugner David Irving zum Thema hat. (Trailer)

Und da Lipstadts Buch Leugnen des Holocaust. Rechtsextremismus mit Methode bei mir einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat, bin ich gerade dabei, nach der BD des Films Ausschau zu halten.


Kennt jemand zufällig weitere Filme (vornehmlich in Deutschland produziert), die sich mit den aufgezeigten Nachkriegsthemen befassten?

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