ICH KANN NICHT LÄNGER SCHWEIGEN - Jochen Wiedermann

Sexwellen, Kriminalspaß und andere Krautploitation.
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Prisma
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ICH KANN NICHT LÄNGER SCHWEIGEN - Jochen Wiedermann

Beitrag von Prisma »



ICH KANN NICHT LÄNGER SCHWEIGEN


● ICH KANN NICHT LÄNGER SCHWEIGEN (D|1961)
mit Michael Verhoeven, Barbara Frey, Paul Klinger, Charles Regnier, Gisela Peltzer, Ursula Heyer, Käthe Haack,
Eva Ingeborg Scholz, Berta Drews, Brigitte Mira, Erik Radolf, Albert Bessler, Hellmut Grube und Hans Nielsen
eine Produktion der Hans Oppenheimer Film | im Nora Verleih
ein Film von Jochen Wiedermann

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»Meine Tochter war ein anständiges Mädchen!«


Das junge Liebesglück der siebzehnjährigen Sabine Prohaska (Barbara Frey) und ihrem Freund, dem Jurastudenten Klaus Kampmann (Michael Verhoeven), wird durch eine ungewollte Schwangerschaft getrübt, denn die schönste Sache der Welt stellt beide plötzlich vor schwerwiegende gesellschaftliche Probleme, sodass das junge Paar letztlich keine Möglichkeit mehr sieht, das Kind zu bekommen. Sabine wendet sie sich an den Gynäkologen Dr. Günther Behrens (Paul Klinger), der einen Schwangerschaftsabbruch durchführen soll, diesen illegalen Eingriff allerdings verweigert. In ihrer Verzweiflung sucht Sabine nach einer Lösung und landet schließlich bei einer Kurpfuscherin namens Woitke (Berta Drews), die die Abtreibung vornimmt. Sabine erleidet tödliche innere Verletzungen und ihre Leiche wird in einem Park aufgefunden. Die Spur führt zu Dr. Behrens, dessen Adresse man in der Tasche der Toten sicherstellen konnte. Der Frauenarzt muss sich nun vor Gericht verantworten...

Unter seinem Pseudonym Jochen Wiedermann inszenierte Regisseur Wolfgang Bellenbaum dieses Gesellschafts- oder Justizdrama, das dem sogenannten Problemfilm zugeordnet werden kann, unter beachtlichen Grundvoraussetzungen. Die Geschichte befasst sich mit einem damals hochbrisanten Thema, das hier zwar nicht auf die Spitze getrieben wird, aber aufgrund eines überaus sentimentalen, teilweise auch trostlosen Tenors für schockierende Momentaufnahmen sorgen kann. Das junge Glück der Protagonisten wird durch gesellschaftliche Konventionen und massive Ängste ausgebremst, und bei der Darstellung der schwierigen Thematik beweist die Regie ein äußerst gutes Fingerspitzengefühl, appelliert bei dieser Gelegenheit an die Empfindlichkeit des Zuschauers. Im Fokus stehen neben all der Dramatik einmal mehr Justitia und deren unnachgiebige Vollstrecker, die ihre liebsten Floskeln namens Recht und Ordnung sehr inflationär einzusetzen wissen. Persönliche Schicksale können daher keine Berücksichtigung finden und das Suchen nach Einsicht und Umdenken wird kompromisslos und unerbittlich abgeschmettert. So findet sich ein Arzt am Pranger wieder, der offensichtlich nur nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt hat. Die Zwickmühle besteht allerdings darin, dass es im Dunstkreis des eigenen Gewissens und dem Befolgen von Gesetzen kein richtiges Handeln geben kann.

Bei der Verhandlung erheben Richter und die Staatsanwaltschaft schwerwiegende Anklagen und zielstrebige Zeigefinger, doch der Ursprung der Empörung ist nicht primär das Missachten eines namhaften Paragrafen, sondern man stößt sich vornehmlich an der Tatsache, dass Minderjährige unehelichen Geschlechtsverkehr hatten, die eben nicht vor hatten, ein Kind zeugen zu wollen. Die Verwicklung des Arztes in diese Angelegenheit ist in diesem Zusammenhang wie ein gefundenen Fressen und man möchte ein Exempel im Rahmen eines Schauprozesses statuieren. Die jungen Hauptpersonen Barbara Frey und Michael Verhoeven statten ihren darzustellenden Personen mit sehr viel Tiefe und Glaubwürdigkeit aus. Dabei ist es beachtlich, wie authentisch die Palette der Emotionen den Verlauf prägen kann und den Zuschauer anspricht. Eigentlich müsste man doch glücklich sein, doch groteskerweise ist das genaue Gegenteil der Fall. In den versteinerten Mienen ist pure Verzweiflung und Ratlosigkeit wahrzunehmen, die bedrückenden Worten erzählen von Resignation. Die beiden Jung-Darsteller bilden eine schließlich perfekte Negativ-Einheit und lassen nie einen Zweifel aufkommen, dass man in diesem Verlauf kein Licht mehr am Ende des Tunnels sehen wird. Die Repräsentanten der Justiz bilden mit Charles Regnier, Gisela Peltzer und Hans Nielsen ein interessantes Dreiergespann, welches im Tauziehen zwischen Unerbittlichkeit und Verständnis sehr gute Akzente setzen wird.

Auch die geladenen Zeugen, wie beispielsweise Käthe Haack oder Eva Ingeborg Scholz, wirken hervorragend im aufzeigen von Kontrasten, die quasi um Verständnis flehen, obwohl hier nie ausgeräumt werden kann, dass es sich vor dem Gesetz um Straftaten handelt. Den Angeklagten Dr. Behrens spielt Paul Klinger mit viel Hingabe und darstellerischer Sicherheit. Seine Rechtfertigungen wirken wie Plädoyers und Aufrufe, endlich aufzuwachen und sich nicht weiterhin hinter leeren Worthülsen zu verstecken. Insgesamt wird ein Todesfall das Szenario nachhaltig erschüttern, der nicht hätte passieren dürfen. Die verständnislosen Reaktionen und Schuldzuweisungen des Gerichts lassen daher beinahe den Eindruck entstehen, dass hier indirekt potentielle Todesurteile gesprochen werden. Die Stilmittel der Produktion funktionieren diesbezüglich hervorragend, außerdem tauchen immer wieder Szenen des Glücks als kleine Hoffnungsschimmer auf, doch gezeigt wird nur das Glück der anderen, wenn man beispielsweise eine Mutter mit Kinderwagen oder ein Pärchen sieht, das eng umschlungen auf einem Roller vorbeifährt. Auch die Wahl der Rückblenden lässt einen entscheidenden Schliff entstehen und fügt den Stoff aussagekräftig zusammen. "Ich kann nicht länger schweigen" ist zu einer dichten Studie geworden, die schlussendlich nachdenklich stimmt und den Zuschauer nicht unbeeindruckt zurücklassen kann, da die Frage nach dem Sinn nicht geklärt werden kann. Empfehlenswert.

Arronax
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Re: ICH KANN NICHT LÄNGER SCHWEIGEN - Jochen Wiedermann

Beitrag von Arronax »

Danke für die Beschreibung. Kenne schon Hunderte oder eher Tausende von Filmen, aber hier bei DP lernt man doch immer wieder interessante, zu Unrecht unbekannt gewordene oder gebliebene Werke kennen. Kannte bisher nur die alte hochnäsige Kurzkritik im Spiegel.

Ich weiss schon, warum ich seit über 10 Jahren dabei bin (damals unter anderem Namen, wusste nicht, ob man das alte Pseudonym mit rüber ins neuer Portal nehmen kann).

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Prisma
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Re: ICH KANN NICHT LÄNGER SCHWEIGEN - Jochen Wiedermann

Beitrag von Prisma »

Arronax hat geschrieben:
Fr., 30.07.2021 00:05
Kannte bisher nur die alte hochnäsige Kurzkritik im Spiegel.

Ich denke, dass es seinerzeit fast zum guten Ton der Kritiker gehörte, solche sogenannten Problem- oder Kolportagefilme zu verreißen oder zumindest schlecht wegkommen zu lassen. Ich habe auch ein paar zeitgenössische Einschätzungen gelesen, und es wurde nur selten auf die Vorzüge des Films hingewiesen. Klar, man darf nicht vergessen, dass der Film aus dem Produktionsjahr 1961 stammt. Da gingen die Uhren noch anders und für heutige Verhältnisse wirken einige Eindrücke vielleicht etwas angestaubt. Aber rückblickend kann man der Regie auch ein gewisses Maß an Mut bescheinigen, außerdem kommt man in den Genuss einer ausgezeichneten Besetzung, in der insbesondere die Leistungen der Jung-Darsteller Michael Verhoeven und Barbara Frey hervorstechen.

Arronax hat geschrieben:
Fr., 30.07.2021 00:05
bei DP lernt man doch immer wieder interessante, zu Unrecht unbekannt gewordene oder gebliebene Werke kennen.

Genau dieser Eindruck bestätigt sich bei mir auch seit fast 10 Jahren immer und immer wieder. :D
Die alten Namen konnte man übrigens problemlos mit rüber holen. Wer warst du denn damals, wenn ich fragen darf?

ugo-piazza
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Re: ICH KANN NICHT LÄNGER SCHWEIGEN - Jochen Wiedermann

Beitrag von ugo-piazza »

Jochen Wiedermann war ein Pseudonym von Bellenbaum? :shock:

Dann sollte ich mal einen Bellenbaum-Tag einlegen und diesen Film sowie den "Tanzstunden-Report" und "Ein guter Hahn wird selten fett" schauen. 8-)
Die Suche ist vorbei

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Prisma
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Re: ICH KANN NICHT LÄNGER SCHWEIGEN - Jochen Wiedermann

Beitrag von Prisma »

ugo-piazza hat geschrieben:
Sa., 31.07.2021 16:59
Jochen Wiedermann war ein Pseudonym von Bellenbaum? :shock:

Mir war das bis vor kurzer Zeit auch nicht klar, aber dann war das für seine Verhältnisse wohl ein eher ungewöhnlicher Vertreter.
Ansonsten liest sich seine Filmografie besonders in späteren Jahren aber sehr verlockend! :D

TRAXX
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Re: ICH KANN NICHT LÄNGER SCHWEIGEN - Jochen Wiedermann

Beitrag von TRAXX »

Sein JAGD AUF JUNGFRAUEN ist auch ein ganz vorzügliches Vergnügen. :mrgreen: :P ;)

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Prisma
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Re: ICH KANN NICHT LÄNGER SCHWEIGEN - Jochen Wiedermann

Beitrag von Prisma »

TRAXX hat geschrieben:
So., 01.08.2021 02:04
Sein JAGD AUF JUNGFRAUEN ist auch ein ganz vorzügliches Vergnügen. :mrgreen: :P ;)

Der ist direkt mal in meinen Einkaufswagen gerutscht. :D

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Dschallogucker
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Re: ICH KANN NICHT LÄNGER SCHWEIGEN - Jochen Wiedermann

Beitrag von Dschallogucker »

TRAXX hat geschrieben:
So., 01.08.2021 02:04
Sein JAGD AUF JUNGFRAUEN ist auch ein ganz vorzügliches Vergnügen. :mrgreen: :P ;)
Hab ich in einer 4 DVD Box, Lauflänge 85:27, angeblich uncut. Kinolaufzeit soll gut 90 min gewesen sein laut ofdb.
Das Bild ist leider nicht so gut.

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Prisma
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Re: ICH KANN NICHT LÄNGER SCHWEIGEN - Jochen Wiedermann

Beitrag von Prisma »



Jochen Wiedermanns Sozialdrama "Ich kann nicht länger schweigen" lässt es sich nicht nehmen, Finger in bestimmte Wunden zu legen und ein bestehendes Dilemma zu skizzieren, welches sich nicht (so einfach) lösen lässt. Unter den bestehenden Bedingungen der damaligen Gesetzeslage, sind alle Sympathieträger im Dunstkreis der Gesetzesbrecher zu finden, wenngleich das Gericht gewisse Abstufungen zulässt. Moral und Gewissen erweisen sich jedoch als keine verlässlichen Ratgeber, private Verstrickungen machen eine ausweglose Situation perfekt. Der Film interessiert sich nicht für reibungslose Abläufe, setzt daher einen bedeutenden Schock, indem die Hauptperson ab einem gewissen Zeitpunkt nur noch in Rückblenden zu sehen ist. Ihre Entscheidungen sind nicht rational, da sie von einer unbarmherzigen Gesellschaft gehemmt werden. Unerträgliche Konsequenzen müssen am Ende dann doch ertragen werden und auch das leidenschaftliche Plädoyer eines Gynäkologen, dessen Hilfe vor dem Gesetz als kriminell eingestuft werden muss, lässt einen paralysiert zurück, da man weiß, wohin das Geschehen zwangsläufig steuern muss. Das offene Ende ohne konkretes Urteil verlegt eine Verbesserung der Lage und eine Entspannung für Betroffene in die ferne Zukunft. Die Interpreten agieren hervorragend und versuchen allen Seiten gerecht zu werden. Vor allem Michael Verhoeven, Barbara Frey, Paul Klinger und Charles Regnier fabrizieren teils denkwürdige Szenen. Am Ende ist "Ich kann nicht länger schweigen" einer der unbequemeren und dramatischen Vertreter geworden, der seine Stärken gnadenlos ausspielt, indem er die Schwächen des Systems und diejenigen der Akteure offenlegt und in den richtigen Momenten angreift.

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Prisma
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Re: ICH KANN NICHT LÄNGER SCHWEIGEN - Jochen Wiedermann

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Auch wenn viele Filme bereits ein stattliches Alter vorzuweisen haben, lassen sich dennoch immer wieder kleinere Entdeckungen machen. Hier heißt diese Hilde Sessak, deren Mitwirkung in "Ich kann nicht länger schweigen" bislang nicht in einschlägigen Datenbanken zu finden ist. Ihr Name ist ebenso wenig im Vorspann zu finden, was jedoch daran liegen mag, dass die Veröffentlichung lediglich über englischsprachige Credits verfügt. Hilde Sessak ist in einer für diese Zeit typische Rolle zu sehen, zumindest von der Auftrittsdauer her, und spielt eine Frau aus der bürgerlichen Mitte, die bereits vier Kinder hat. Erneut schwanger, fleht sie ihren Gynäkologen Dr. Behrens an, ihr doch mit einer Abtreibung zu helfen, da die Situation ohnehin schon kaum zu stemmen sei, was ihr allerdings verwehrt wird. Schließlich landet sie aus purer Verzweiflung bei einer Kurpfuscherin und endet als tragische Figur auf dem Operationstisch. Nur so viel zu diesem kurzen Auftritt, der offenbar in Vergessenheit geraten ist.

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