DER LETZTE VAMPIR - Tim Sullivan

Gruselschocker aus Großbritannien, Spanien, Frankreich usw.
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Percy Lister
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DER LETZTE VAMPIR - Tim Sullivan

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"Der letzte Vampir" ("The Last Vampyre") (Großbritannien 1993)
mit: Jeremy Brett, Edward Hardwicke, Roy Marsden, Yolanda Vasquez, Keith Barron, Richard Dempsey, Juliet Aubrey, Maurice Denham, Elizabeth Springs, Jason Hetherington, Peter Geddis, Kate Lansbury, Maria Redmond, Freddie Jones, Hilary Mason, Stephen Tomlin u.a. | Drehbuch: Jeremy Paul frei nach "The Sussex Vampire" von Sir Arthur Conan Doyle | Regie: Tim Sullivan

Seit kurzem beherbergt das kleine Dörfchen Lamberley in den englischen Cotswolds neue Bürger, die aus Peru zugezogen sind: den Engländer Robert Ferguson und dessen Frau Carlotta, sowie einen Mann namens John Stockton, dessen Familienansitz vor über hundert Jahren niedergebrannt wurde, weil der Besitzer unter Anklage stand, eine junge Frau ins Unglück gestürzt und durch einen Biss in den Hals getötet zu haben. Nachdem sich mehrere ungeklärte Todesfälle zugetragen haben, wendet sich der örtliche Pfarrer an den Detektiv aus der Baker Street in London. Er fürchtet, die Dorfbewohner könnten an Stockton Rache nehmen, da sie ihn für das Sterben verantwortlich machen. Er soll über den bösen Blick verfügen und Schuld am Tod des Säuglings der Familie Ferguson tragen....

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Das Charisma und die Faszination eines Menschen, der seinen eigenen Weg geht und sich sowohl von der Gesellschaft, als auch von den Bräuchen und Vorurteilen der Mehrheit distanziert, erregt in Personen mit niedrigem Bildungsstand oftmals Hass und Neid. Gesellen sich dann Begleitumstände hinzu, die sich mit naheliegenden Erklärungen nicht bestätigen lassen, so wird nicht selten nach unlauteren Motiven gesucht und der Fremde für das Unglück verantwortlich gemacht. Solchen Phänomenen ist nicht leicht beizukommen, da der Glaube an finstere Mächte tief in der Bevölkerung verwurzelt ist und immer wieder zu Tage tritt, wenn an irrationale Ängste und primitive Instinkte appelliert wird. John Stockton weckt die Erinnerung an das Erbe seiner Vorfahren, wobei es genügt, dass er weder den Gottesdienst besucht, noch das dörfliche Gasthaus. Er arbeitet nachts wissenschaftlich und besucht regelmäßig den Friedhof und die ausgebrannte Ruine des St. Clair-Anwesens. All diese Faktoren machen es den Kesseltreibern leicht, Gerüchte zu streuen und Ressentiments gegen ihn zu schüren. Die Verbindung zu den beiden peruanischen Damen des Haushalts Ferguson sorgt ebenfalls für Spekulationen im Dorf, setzen diese sich durch eine Spazierfahrt mit Stockton doch über die gebotene Schicklichkeit angesichts eines kürzlich erfolgten Todesfalls hinweg. Das Misstrauen findet seinen Weg in alle Häuser und vergiftet sogar das Klima in Robert Fergusons persönlichem Umfeld, der sich keinen Rat mehr weiß und auf die neutrale Weitsicht und das kluge Urteil des Londoner Detektivs baut. Dieser steht der Angelegenheit trotz seiner Skepsis gegenüber Sagen und Mythen prinzipiell aufgeschlossen gegenüber, weil er alles Absurde und Eigenartige als Stimulator für seinen verwöhnten Geist schätzt und selbst gern mit Konventionen bricht. Nur zu gut weiß er um die Nutzbarmachung alter Legenden für neue Verbrechen und ist deshalb gewarnt, als er von plötzlichen Krankheitsfällen und daraus resultierenden Schuldzuweisungen gegen den enigmatischen John Stockton hört. Einem natürlichen Impuls folgend, schlägt er sich auf die Seite des Verfemten und muss aufpassen, nicht in dessen Bann gezogen zu werden.

Unter den Sherlock-Holmes-Kurzgeschichten nimmt "Der Vampir" keine herausragende Stellung ein, dafür ist sie zu wenig populär. Die schwermütige Atmosphäre des Unheils, die auf dem Hause seines Klienten liegt, scheint den anfänglichen Verdacht, man habe es hier mit irrationalen Ereignissen zu tun, eher zu bestätigen als zu widerlegen. Der Succus dieser Erzählung hat es in die Produktion von Granada Television geschafft und treibt dort seltsame, aber durchaus reizvolle Blüten. Das menschliche Laster zeigt sich vielgestaltig in Form von körperlichen und geistigen Abhängigkeiten. Es geht Hand in Hand mit dem unbarmherzigen Stachel der Eifersucht, des Neids und der Missgunst; lauernd sucht es seine Opfer und setzt sich wie ein Fieber im Gehirn fort, bis es zur Eskalation kommt. Selbst der sonst so strukturiert denkende Detektiv lässt sich von der Atmosphäre beeindrucken und billigt ihr einen nicht unwesentlichen Stellenwert bei. Die Faszination verlassener Gebäude, freidenkender Persönlichkeiten und alter Verbrechen vermengt sich zu einer subtilen Bedrohung, die sich wie ein schleichendes Gift über das Dorf legt und immer neue Rückschläge aufbietet. Roy Marsden füllt seine Rolle mit präziser Standfestigkeit aus, nie verliert er seine Würde, sondern wandelt zielsicher zwischen Vernunft und Reizbarkeit. Mit südländischem Temperament weiß Yolanda Vasquez zu punkten, die täglich mit einem Kulturkreis hadert, der sich gern kühl und besonnen gibt, vielfach jedoch nur Fäulnis und Rückständigkeit kaschieren will. Juliet Aubrey sorgt für eine sexuelle Spannung, die mit den unverhohlenen Begierden ihrer Umgebung spielt, wohlwissend, dass diese deshalb so offensiv geäußert werden, weil sie nicht statthaft sind. Bild und Ton spielen dem tragischen Gehalt des Films in die Hände und vermengen sich zu einem nachhaltigen Sog, welcher der Produktion Elemente verleiht, die den Zuschauer bei Laune halten und ihn mit den tragischen Figuren der Handlung mitfühlen lassen. Wer die Grenzen der Genres als fließend betrachtet und über den Horizont des berühmten Holmes-Canon hinauszudenken vermag, findet hier eine kuriose Perle sherlockianischen Ursprungs - "no ghosts need apply!"

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