HAUS DES GRAUENS - Freddie Francis

Gruselschocker aus Großbritannien, Spanien, Frankreich usw.
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Percy Lister
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Registriert: Sa., 14.11.2020 16:15

HAUS DES GRAUENS - Freddie Francis

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"Haus des Grauens" (Paranoiac) (Großbritannien 1963)
mit: Janette Scott, Oliver Reed, Alexander Davion, Sheila Burrell, Maurice Denham, Liliane Brousse, John Bonney, Colin Tapley, John Stuart, Arnold Diamond u.a. | Drehbuch: Jimmy Sangster nach einem Roman von Josephine Tey | Regie: Freddie Francis

Während des Gedenkgottesdienstes für ihre verstorbenen Eltern und den seit acht Jahren verschwundenen Bruder Tony, sieht Eleanor Ashby diesen plötzlich in der Kirchentür stehen. Sie wird ohnmächtig und sofort nach Hause gebracht. Mehrmals sieht sie ihn im Park, doch man glaubt ihr nicht. Verzweifelt beschließt sie, Selbstmord zu begehen, da sie annimmt, wahnsinnig zu sein. Tony rettet sie aus den Fluten und gibt sich im Anschluss der Familie zu erkennen. Sein Bruder Simon und Tante Harriet zweifeln jedoch an seiner Identität und wollen mit allen Mitteln verhindern, dass er sein Erbe antritt. In der Familienkapelle geschehen nachts unheimliche Dinge, die ein tödliches Geheimnis verbergen....

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Unter einer Paranoia versteht das Lexikon eine Geisteskrankheit mit Ausbildung eines in sich geordneten Wahnsystems. Der Verfall der ehemals hochangesehenen Familie Ashby, deren Vermögen allen Mitgliedern ein sorgenfreies Leben ermöglicht, wird bereits in den ersten Minuten eindrucksvoll aufgezeigt. Durch die streng regierende Tante Harriet, welche die Rolle des Familienoberhaupts übernommen hat, wird der äußere Schein gewahrt, obwohl die Trunksucht des ältesten Sohnes Simon und seine maßlosen Geldausgaben ihn bereits zweimal mit dem Gesetz in Konflikt gebracht haben. Die sanfte Eleanor vermisst ihren Bruder Tony am meisten, da er ihr Vertrauter und ihre Stütze nach dem Tod der Eltern war. Die Eintönigkeit ihrer gleichförmigen Tage bietet wenig Sinn und Abwechslung. Die Disharmonie, die durch die Spannungen zwischen Simon, Harriet und dem Hauspersonal auftritt, rührt aus dem Verlust der Autorität in der kritischen Entwicklungsphase der Kinder. Simon, das 'enfant terrible' der Ashbys, führt einen extrovertierten Lebensstil mit allen Begleiterscheinungen, die ein Mann, der sich dem Müßiggang verschrieben hat, auskostet. Oliver Reed lässt den Zuschauer keine Minute über seine Stimmungen im Unklaren, sondern kehrt seine Gefühlswelt exzessiv nach außen. Sein Selbstzerstörungstrieb konkurriert mit dem Wunsch, andere auszuschalten und sie völlig zu beherrschen. Er erhebt sich über sie und sieht in seiner Selbstverblendung nur ein Ziel: Stimulation durch den Rausch, Betäubung seiner Aggressionen und rücksichtsloses Durchsetzen seines Willens. Die Dynamik seines Auftretens zwingt die anderen zu Reaktionen, die ihnen wesensfremd sind und sie zutiefst verunsichern. Janette Scott stattet ihre Eleanor, die sich nach Freundschaft und Freiheit sehnt, mit einer reichen Gefühlswelt aus. Sie flüchtete sich in eine Verklärung der Vergangenheit, wobei ihre Sehnsucht nach dem toten Bruder, der so ganz anders war als der wilde Simon, mit ihrer zunehmenden Einsamkeit immer größer wird. Tony ist der willkommene Ruhepol und bringt Licht ins Dunkel. Seine Figur umgibt Suspense und Verlässlichkeit zugleich. Er verstärkt den Prozess, der bereits einige Zeit vorher angelaufen ist und beschleunigt die schmerzvolle Reinigung der Atmosphäre, die zwar mehreren Menschen das Leben kosten wird, am Ende jedoch zu einer Befreiung von der Vergangenheit führt.

Alexander Davions Ausstrahlung erinnert verblüffend an den jungen Cary Grant. Auf ihm ruhen die Hoffnungen des Zuschauers, der mit Spannung das liebevolle Verhältnis zwischen "Bruder" und "Schwester" verfolgt, das in Gesten und Mimik sensibel angedeutet wird. Das Gefühl der Schuld ist dabei immer präsent und wird durch religiöse Symbole betont. Vergangenes Unrecht muss deshalb zuerst gesühnt und im Höllenfeuer gebüßt werden, bevor neues Glück ausgelebt werden darf. Die katholische Handschrift zieht sich wie ein roter Faden durch den Film, der auf einem Roman der schottischen Schriftstellerin Josephine Tey beruht. Sie erzählt in ihrer 1949 erschienenen Vorlage des Films in lebendiger, eleganter Sprache das Schicksal einer Familie, deren Protagonisten durch Leidenschaft und Geheimnisse zutiefst getroffen werden. Es handelt sich um vielschichtige Charaktere, die ihr Innerstes hinter Masken verbergen. Die raffinierte Ausleuchtung, die Kameraarbeit von Arthur Grant und die Musikuntermalung von Elisabeth Lutyens, die mit dem Geschehen verschmilzt, sorgen für Momente des unaufdringlichen Grusels und der eleganten Weitläufigkeit. Die nächtlichen Szenen im Park erinnern an den Klassiker "Schloss des Schreckens" (1961), dem ebenfalls unerlaubte Begierden zwischen Lebenden und Toten, zwischen Schutzbefohlenen und Vorgesetzten innewohnen. Die subtile Erotik, die Tony und Eleanor im Gegenlicht zeigt, wirkt weitaus nachhaltiger als die handfeste Körperlichkeit zwischen Françoise und Simon. Liliane Brousse fällt die Rolle der halbfreiwilligen Komplizin zu, deren Gewissen noch nicht so verdorben ist, als dass sie nicht Mitleid oder Empathie empfinden könnte. Sie schwankt zwischen dem Verlangen, dem labilen Simon zu helfen und das in sie gesetzte Vertrauen nicht zu enttäuschen. Die Versprechungen, die der liebenden Frau zweifelsohne gemacht worden sind, werden ein ums andere vertagt und enttäuscht und sie sieht sich zum nützlichen Werkzeug degradiert, was sie zwischen Selbstaufgabe und Überlebenswillen pendeln lässt. Der Fluch der bösen Taten schimmert von Anfang an durch die Ritzen des herrschaftlichen Anwesens, das eine Prinzessin im Elfenbeinturm, einen edlen Ritter und einen wahnsinnigen Schurken beherbergt. Durch wohldosierte Schockmomente schafft es Freddie Francis, eine bitter-süße Liebesgeschichte in einem destruktiven Ambiente zu zeichnen und das Publikum um die Helden bangen zu lassen.

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