HAUNTING IN LONDON - Richard Loncraine

Gruselschocker aus Großbritannien, Spanien, Frankreich usw.
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Percy Lister
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Registriert: Sa., 14.11.2020 16:15

HAUNTING IN LONDON - Richard Loncraine

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"Haunting in London" ('Full Circle') (Großbritannien / Kanada 1976)
mit: Mia Farrow, Keir Dullea, Tom Conti, Jill Bennett, Robin Gammell, Cathleen Nesbitt, Edward Hardwicke, Anna Wing, Mary Morris, Pauline Jameson, Peter Sellis, Arthur Howard, Sophie Ward, Nigel Havers, Ann Mitchell, Julian Fellowes, Samantha Gates u.a. | Drehbuch: Dave Humphries basierend auf einer Adaption von Harry Bromley Davenport nach dem Roman "Julia" von Peter Straub | Regie: Richard Loncraine

Julia und Magnus' Loftings Tochter Katty erstickt beim Frühstück an einem Apfel. Julia, die noch versucht hat, ihre Tochter durch einen Luftröhrenschnitt zu retten, wird mit dem Verlust nicht fertig und beschließt, sich von ihrem Mann zu trennen und ein neues Leben zu beginnen. Sie kauft sich ein Haus in Kensington, wo sie immer wieder mit der Erinnerung an ihre tote Tochter konfrontiert wird. Mrs. Fludd, die mit ihren Freunden eine Séance abhält, berichtet von der Anwesenheit des Bösen und rät Julia dringend, das Haus zu verlassen. Diese findet heraus, dass ein Mädchen namens Olivia einst hier lebte und auf eine ähnliche Weise starb wie ihre Tochter Katty....

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Mia Farrow scheint prädestiniert für Verpflichtungen dieser Art; ihre bekannteste Gruselrolle hatte sie wohl in Polanskis Kultfilm "Rosemary's Baby" aus dem Jahr 1969. Die Tochter des Regisseurs John Farrow und der Schauspielerin Maureen O'Sullivan wirkt verletzlich und durchsichtig, als käme sie selbst direkt aus der Welt der Geister. Ihr Wunsch, sich zu behaupten, um das durchzusetzen, was sie für richtig erachtet, verleiht ihr Energie. Das sanfte Licht des Londoner Herbstes und die Erdtöne ihrer Kleidung, die im Laufe der Handlung mit ihrer ätherischen Ausstrahlung verschmelzen, geben der Geschichte eine fragile Note. Der Zuschauer lebt mit dem Gefühl, als könnte sich alles jederzeit in Luft auflösen wie ein ästhetischer Traum. In weiten Teilen des Films ist Julia allein in dem großen Haus, streift durch seine Räume und scheint auf etwas zu warten, das sie zugleich fürchtet und herbeisehnt. Es ist die Erfahrung des Todes, die sie sensibel gemacht hat für das Leid anderer und sie hartnäckig nach den verschütteten Spuren aus früheren Tagen suchen lässt. Klassische Elemente des Spukhaus-Films wie ein grausames Verbrechen in der Vergangenheit, das nach Aufklärung dürstet, dominieren die Handlung ebenso wie eine Atmosphäre des Seelenfriedens, den Julia trotz aller Anzeichen einer übernatürlichen Präsenz in ihrer neuen Umgebung zu finden scheint. So läuft alles sehr dezent ab; ein Licht, ein überhitzter Heizkörper, ein blondes Mädchen im Park oder sanfte Schritte auf der Treppe. Dies begründet sich in der Bereitschaft Julias, sich auf den Gast aus der Vergangenheit einzulassen, der nach und nach eine gefährliche Symbiose mit ihr eingeht, ohne dass es ihr bewusst wird. Der Wunsch nach Rache wird von anderen Personen an sie herangetragen, gleichzeitig warnen sie gute Freunde, die Finger von der Sache zu lassen. Julias Festhalten am einmal Beschlossenen mag naiv wirken, schließt aber den titelgebenden Kreis. Der italienische Filmtitel lautet übrigens "Demonio dalla faccia d'angelo" (Der Dämon mit dem Engelsgesicht) und weist auf das Böse hin, das hinter der Fassade von Unschuld schlummert. Freilich ist diese Kombination weitaus faszinierender als ein auf den ersten Blick abstoßend wirkender gewöhnlicher Verbrecher, der sich der üblichen Methoden bedient. Die Subtilität, mit der die Tötungen ablaufen, zeigt die Zerbrechlichkeit des Gefüges, das wir Leben nennen und dessen Grenzen im Geisterfilm fließend sind. Julia und Olivia als Gegnerinnen oder Verbündete? Die helfende Hand, die uneigennützig, aber nicht weniger kompromisslos, Zerstörung und Tod verursacht?

Die feinsinnige Poesie der britisch-kanadischen Co-Produktion erweist sich als überaus wirksam und hängt wie ein Echo lange nach dem Abspann in der Luft. Dazu tragen freilich neben den überzeugenden Darstellerleistungen auch die Musik und die Schauplätze bei, die neben einer diskreten Eleganz ein authentisches Flair verbreiten. Mia Farrow gestaltet den Film im Alleingang, obwohl sie tatkräftige Unterstützung von Licht und Schatten, sowie einem einlullenden Drehbuch erhält, das sich auf die wesentlichen Elemente der Geschichte konzentriert. Ihr Bedürfnis nach der Nähe ihrer geliebten Tochter, trübt ihren klaren Blick und öffnet ein Tor, durch das Kräfte an sie herantreten, die sie zum Werkzeug ihrer egoistischen Zwecke machen und sich im unaufhörlichen Kreislauf des Bösen zunutze machen, dass ihre Wahrnehmung durch Sehnsucht und Melancholie gestört ist. Die Allianz mit der Todesbotin geschieht schleichend und ist für den Zuschauer eine bittere Erkenntnis, die ihn hellhörig werden lässt für Abläufe, die den Weg zur Kapitulation ebnen. Das Gefühl der Schuld als ständiger Begleiter erweckt in Julia ein Verständnis für Vorgänge, die rational betrachtet der Ausdruck eines sadistischen Egoismus sind und keinerlei Mitleid oder Solidarität verdienen. Die Kamera fungiert als kunstvolle Malerin eines Panoramas, dessen Ausstrahlung in Verbindung mit den angenehmen Klängen der Musik einen Sog bildet, in den das Publikum behutsam gezogen und aus dem es kein Entkommen gibt. Die Kraft der Imagination vermengt sich mit einer Geschichte, deren Entwicklung flüssig abläuft und sich dennoch genügend Zeit für ein Innehalten nimmt. Die Bedingungslosigkeit von Julias Gefühlen hat sich verselbständigt und wo ihre Mutterliebe berechtigt war, erweisen sich ihre Empfindungen nach dem Unfalltod ihrer Tochter als brandgefährlich. Der Grat zwischen instinktiver Empathie und Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben anderer ist schmal geworden und zeugt von einem Trauma, das nicht aufgearbeitet und deshalb nicht überwunden wurde. Das Publikum wird vor allem auf der Gefühlsbasis angesprochen und bekommt es mit Charakteren zu tun, die es zu einer klassischen Parteinahme verleiten, wobei weder Sympathie, noch Antipathie einen Schutz für die handelnden Personen darstellen. Die Schicksalshaftigkeit des Lebens wird in milchigen, traumwandlerischen Bildern betont und erhält eine tragische Note, die wie ein Schalldämpfer für die Unbarmherzigkeit des Todes wirkt. "Haunting in London" repräsentiert die Stille inmitten eines Umfelds von lauten, plakativen Genrevertretern, ist dabei jedoch nicht weniger eindrucksvoll, sondern zeugt im Gegenteil von beunruhigendem Schrecken.

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