THE GUN - Pasquale Squitieri

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Maulwurf
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THE GUN - Pasquale Squitieri

Beitrag von Maulwurf »

The Gun
L’arma
Italien 1978
Regie: Pasquale Squitieri
Stefano Satta Flores, Claudia Cardinale, Benedetta Fantoli, Clara Colosimo, Dario Ghirardi, Giuseppe Morabito, Salvatore Billa, Viviana Polic, Mario Granato, Paolo Bonetti


The Gun.jpg

OFDB
Italo-Cinema.de

Ein Alptraum: In dem Wohnblock, in dem Luigi mit seiner Familie lebt, wird eingebrochen. Gottseidank ist eine Mieterin auf Draht und alarmiert die Polizei. Diese ist ebenfalls auf Draht und erschießt einen der drei Einbrecher. Luigi ist aber trotzdem entsetzt, man ist seines Lebens ja nicht mehr sicher. Nicht mal mehr in der eigenen Wohnung kann man sich sicher fühlen. Luigi kauft eine Pistole um sich und seine Familie schützen zu können, vor den bewaffneten und drogenabhängigen Kriminellen, die überall nur darauf warten seine Frau zu vergewaltigen.
Mit dem Besitz der Pistole allerdings beginnt Luigi sich zu verändern: Aus dem kleinen und stillen Spießer wird eine Person mit Autoritätsanspruch. Er hat eine Waffe, also kann er sich und seine Rechte als Steuerzahler durchsetzen. Und seine Rechte als Vorstand und Ernährer der Familie gleich mit. Seiner Frau Martha geht das erheblich zu weit, und da die Ehe schon lange nur noch auf dem Papier existiert verlässt sie ihn. Aber so etwas kann man mit einem Luigi Compagna nicht machen! So etwas nicht!!

Ein Alptraum: Ein kleiner und zutiefst frustrierter Spießbürger kommt an eine Waffe. Nun kann er seine Allmachtsphantasien ausleben, seinen Frust abbauen, und was am Schlimmsten ist: Er erkennt seine eigene Unwichtigkeit. Mit dieser Erkenntnis aber kann er nicht umgehen. Das können wahrscheinlich nur die Wenigsten, allerdings haben auch nur wenige Menschen die Möglichkeit diese Erfahrung mit einer Waffe zu verarbeiten.

Diese Entwicklung vom kleinen Angestellten zum Spießer ohne Grenzen wird in geradezu erschreckender Weise dargestellt, und Stefano Satta Flores gibt diesem Schrecken ein wunderbar nichtssagendes und alltägliches Gesicht. Schon zu Beginn des Filmes gärt es in Luigi, und seine Unzufriedenheit ist deutlich spürbar, aber er hat, wie so viele Menschen, einfach nur Angst. Angst vor allem Unbekanntem, Angst vor Veränderungen, Angst vor dem da draußen. Mit seiner Smith & Wesson im Hosenbund aber ändert sich das. Er zwingt seine Frau zu einem nächtlichen Spaziergang zu einer Bar, in der drei Halbstarke sich gleich bereit machen für ein lustiges halbes Stündchen mit Martha. Bis Luigi die Waffe zieht, und die Kläffer in ihre Schranken verweist. Ein unglaubliches Machtgefühl durchfährt ihn, so ungefähr muss Herkules sich nach seinen 12 Aufgaben gefühlt haben. Oder Jeffrey Dahmer bei seinen Morden. Beim Probeschießen schließt Luigi die Augen und genießt dieses Gefühl mit jeder Pore: Jetzt ist er endlich jemand, jetzt müssen sich die anderen nach ihm richten. Sein Vorgesetzter, der ihm das Tragen der Waffe in der Arbeit untersagt, könnte sein Sohn sein, und wenn es sein Sohn wäre, dann würde er ihm einen Tritt in den Arsch geben, jawohl!

Das Gegenstück ist seine Frau Martha, die zu Beginn des Films die stille Ehefrau ist: Sie führt ein geheimes Leben, aber letzten Endes hat sie sich mit ihrer Situation arrangiert. Sie schaut, dass sie ihrer Tochter eine gute Mutter ist und versucht die Annäherungen ihres Mannes hinter sich zu bringen. Aber mit der Waffe passiert auch in ihr etwas. Sie merkt wie sehr sich Luigi verändert, und sie spürt auch dass es so nicht weitergehen kann. Nach einem misslungenen Scherz der Tochter eskaliert die Situation und Martha zieht die Konsequenzen. Ein Schritt, zu dem man sie nur beglückwünschen könnte. Wenn da nicht noch diese Waffe wäre …

Pasquale Squitieri baut seine Geschichte nicht bedächtig auf, oh nein. Gleich von Beginn an gibt er Stoff und zeigt das Gesicht Luigis, wenn einer der drei Einbrecher tot auf dem Pflaster liegt und den Spießbürgern als Sündenbock und Zielscheibe für alles Schlechte und Ungerechte auf der Welt dient. Spätestens der Dialog mit dem Kommissar, in dem seitens Luigi aus einem unbewaffneten Einbrecher ein bewaffneter (“Ich wusste gleich dass er bewaffnet ist, das hat mir mein Instinkt gesagt.“) und drogenabhängiger Schwerverbrecher wird, entlarvt ihn gnadenlos als Kleinbürger mit Bildzeitungs-Niveau. Aber dies ist kein Film von Umberto Lenzi (da würde Luigi wahrscheinlich mit der Schrotflinte durch Rom ziehen und auf alles schießen was bei drei nicht auf den Bäumen ist) sondern von Pasquale Squitieri, was bedeutet, dass Luigis Entwicklung Stück für Stück gezeigt wird, nie unlogisch ist, und dabei immer fesselnd erzählt wird. Und das Schlimme dabei ist, dass THE GUN unglaublich bedrückend ist, denn der Zuschauer kann Vergleiche ziehen mit der Realität außerhalb des Fernsehers, und das macht RICHTIG Angst.

Diese Angst wird inszenatorisch stark ausgereizt. Die Musik ist oft dissonant und besteht oft nur aus einem mit einem Keyboard unterlegten Schlagzeugsolo. Der Zustand Luigis wird damit perfekt ausgedrückt und verstärkt. Oft aber ist die Musik nicht zu hören, stattdessen ist es ruhig. Totenstill. Nur der Fernseher läuft, und wenn Luigi den Fernseher ausschaltet ist Stille. Oder das den Irrsinn ankündigende Schlagzeug ist leise zu hören. Die Kamera ist dabei immer ganz nah an den Akteuren und immer mitten im Geschehen, die Einstellungen sind geradezu klaustrophobisch. Nur eine einzige Totale mit einem Blick über die Stadt wird uns gegönnt, bevor wir wieder an die Protagonisten gefesselt werden. Der Zuschauer hat so nicht immer den Überblick was gerade passiert, und wird damit zum Teilhaber Luigis der genauso wenig Überblick hat, und der Einblick in Luigis Gefühlswelt wird nur umso intensiver. Und schmerzhafter. Erst ganz am Ende öffnet sich der Raum ein wenig, und auch das immerwährende Zwielicht hellt ein wenig auf. Jetzt wird endlich alles besser …

THE GUN ist böse und bitter, er schmerzt und er macht Angst. Angst morgen auf dem Weg in die Arbeit Luigi zu begegnen und ihm auf dem Wecker zu fallen.
Und noch eines macht Angst: Squitieri lässt den Zuschauer in sich selbst hineinblicken, und er zeigt ihm den kleinen Luigi in sich selbst. Ein erschreckendes Bild. Und ein realistisches …

7/10

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