ENNIO MORRICONE - DER MAESTRO - Giuseppe Tornatore

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Arizona Colt
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ENNIO MORRICONE - DER MAESTRO - Giuseppe Tornatore

Beitrag von Arizona Colt »

ENNIO MORRICONE - DER MAESTRO

156 Minuten
Originaltitel: Ennio
Italien/Belgien/Japan/Niederlande 2021
Regie: Giuseppe Tornatore
Darsteller: Ennio Morricone, Clint Eastwood, Quentin Tarantino, John Williams, Hans Zimmer, James Hetfield, Oliver Stone, Bernardo Bertolucci, Wong Kar-Wai, Dario Argento, Bruce Springsteen u.a.


Bild

Der Film erzählt - überwiegend chronologisch - die Lebensgeschichte des Maestro Ennio Morricone, beginnend bei seiner Kindheit. Den roten Faden bildet dabei ein - offensichtlich nicht allzu kurz vor seinem Tod geführtes - Interview mit Ennio Morricone selbst. Eingeflochten sind unzählige Statements von Wegbegleitern Morricones.

Kritik:

Ist es lohnenswert, sich einen Dokumentarfilm im Kino auf der großen Leinwand anzusehen? In diesem Fall kann die Antwort nur lauten: Ja, auf jeden Fall! Denn dieser Film bringt alles mit, was es für ein besonderes Kinoerlebnis braucht: Neben großartigen Bildern (Ausschnitte aus diversen Filmen, für die Morricone die Musik geschrieben hat) kommen tatsächlich auch echte Emotionen auf.

Dabei ist der Einstieg zunächst etwas irritierend: Flotten Schrittes läuft Morricone - schon im hohen Alter - durch seine Wohnung, legt sich auf den Boden und beginnt damit, verschiedene Fitnessübungen zu machen - dies ohne jeglichen Kommentar. Das lässt den Zuschauer erst einmal ratlos zurück, hatte man doch viel eher einen Anfang mit toller Musik und großen Bildern erwartet. Letztlich erweist sich dieser Einstieg jedoch als äußerst gelungen, denn er verdeutlicht die Vielschichtigkeit von Morricones Charakter und Fähigkeiten. Immer wieder kommt der Film - und damit auch er selbst - darauf zu sprechen, wie wichtig es ihm war, gerade das Gegenteil von dem zu tun, was man womöglich von ihm erwartete.

Auch wird immer wieder deutlich, dass der Mensch Morricone in verschiedenen Phasen seines Lebens innerlich zerrissen war. Nach seiner schwierigen Ausbildung zum klassischen und anspruchsvollen Komponisten sollte er populäre und - aus seiner Sicht - "minderwertige" Filmmusik schreiben, die von seinen Kommilitonen nicht bloß nicht ernst genommen, sondern sogar belächelt wurde?! Lange Jahre hat Morricone damit zu kämpfen, dass er auf diese Weise ausgegrenzt wird von seinen Berufskollegen, die regelrecht auf ihn herabzublicken scheinen. Erst nach etlichen Jahrzehnten macht er letztlich seinen Frieden mit seinem Lebenswerk und ändert seine Sichtweise: Filmmusik betrachtet er nun als eigenständigen Bereich der Musikkomposition, der durchaus eine Daseinsberechtigung und Qualität hat. Regelrecht anrührend ist in diesem Zusammenhang die Szene, in der ein ehemaliger Kommilitone erzählt, dass er viel zu spät die Genialität von Morricones Werk erkannt und diesem daher erst im hohen Alter einen Entschuldigungsbrief geschrieben hat. Beide Männer kämpfen mit den Tränen, als diese Geschichte zur Sprache kommt.

Doch bereits früh in seiner Laufbahn hatte Morricone emotional schwierige Entscheidungen zu treffen - etwa, als sein Vater (ein begnadeter Trompeter) altersbedingt nicht mehr gut genug ist, um die von seinem Sohn komponierten Stücke im Orchester mitzuspielen. Morricones Lösung: Er verzichtet ab diesem Zeitpunkt auf den Einsatz von Trompeten - um seinen Vater nicht verletzen zu müssen. Erst als dieser verstorben ist, setzt er die Trompete wieder in seinen Stücken ein.

Stellenweise geht der Film im Bereich Musiktheorie auch ins Detail, sodass ich als Laie den Ausführungen der Protagonisten teils nicht mehr wirklich folgen konnte. Dies hält sich aber zum Glück in Grenzen, sodass man kein Fachmann für klassische Musik sein und auch nicht Komposition studiert haben muss, um sich während der 156 Minuten nicht zu langweilen. Auch für Zuschauer, die sich bislang nicht allzu sehr mit dem Werk und der Person Morricones befasst haben, ist der Film interessant - ebenso natürlich für Leute wie mich, die unzählige Platten und CDs vom Maestro im Regal stehen haben. Auch ich habe viel Neues über den Mensch und Künstler Morricone erfahren können.

Obwohl es ein Dokumentarfilm ist, sieht man Tornatores Werk an, wie viel Arbeit und Recherche nötig gewesen sein müssen. Die Anzahl der Interviewpartner kann ich lediglich schätzen, sie dürfte aber wohl zwischen 50 und 100 liegen. Zu Wort kommen neben Regisseuren auch Musiker, Kommilitonen und andere. Würde man hier etwas kritisieren wollen, so könnte man allenfalls sagen, dass Morricones Privatleben in der Dokumentation ziemlich kurz kommt. Zwar wird seine Ehefrau mehrfach erwähnt und gezeigt, allerdings wird ansonsten recht wenig aus dem Privatleben des erwachsenen Maestro (Die Kindheit wird nämlich durchaus beleuchtet am Anfang des Films) gezeigt. Dies kann aber auch auf eine bewusste Entscheidung des Regisseurs oder Morricones Wunsch zurückzuführen sein.

Tornatore gelingt es mit seinem Film, obwohl dieser dokumentarischen Charakter hat immer wieder Kinofeeling aufkommen zu lassen: Sei es durch großartige Bilder aus den von Morricone vertonten Filmen oder auch durch die gezeigten echten Emotionen der jeweiligen Interviewpartner. Auch Morricone selbst scheinen in mehreren Situationen fast die Tränen zu kommen. Und als im Kinosaal Leones tolle Bilder aus Spiel mir das Lied vom Tod und Zwei glorreiche Halunken zu sehen waren, wurde mir als insoweit "zu spät Geborenem" noch einmal schmerzlich bewusst, dass diese Filme für die Kinoleinwand und nicht für den TV Bildschirm gemacht sind. Ich verließ den - insgesamt leider nur mit acht Personen besetzten - Kinosaal nach 156 kurzweiligen Minuten jedenfalls gerührt und gut informiert - und brannte bereits darauf, mir bestimmte Filme mit Morricones Musik im Heimkino erneut anzuschauen.

Tornatore hat es geschafft, in epischer Länge alle Lebensphasen Morricones zu beleuchten, und hat hierbei auch weder dessen Kindheit noch seine Werke im Bereich der absoluten Musik außen vor gelassen. Jedem, der Morricones Werk schätzt und sich auch nur ansatzweise für sein Lebenswerk interessiert, sei dieser Film daher wärmstens ans Herz gelegt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendwer den Kauf der Kinokarte (oder später dann der DVD/Bluray) bereuen wird.

Wertung: 9 / 10

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Prisma
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Re: ENNIO MORRICONE - DER MAESTRO - Giuseppe Tornatore

Beitrag von Prisma »



Vielen Dank für die ausführliche Vorstellung, mit diesem Dokumentarfilm bin ich auch schon fürs Heimkino am liebäugeln, zumal man an Ennio Morricone nicht vorbeikommt - egal, welchem Filmgenre man am meisten zugeneigt ist. Umso besser für mich, dass seine Geschichte bei mir immer noch ein relativ unbeschriebenes Blatt ist, da ich dann so gut wie nur Neues erfahren werde. Und wenn ich mir die Laufzeit der Doku betrachte, dann kann man sicher davon ausgehen, dass die Informationen reichhaltig ausfallen werden. Behalte ich im Auge!

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Richie Pistilli
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Re: ENNIO MORRICONE - DER MAESTRO - Giuseppe Tornatore

Beitrag von Richie Pistilli »

Vielen Dank für den ausführlichen Bericht.
War letzte Woche leider erkrankt als der Film im hiesigen Kino lief :x :x

Daher sehe ich dem BD-Release ebenfalls mit sehr großem Interesse entgegen.

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