Stefania Sandrelli
● IO LA CONOSCEVO BENE / ICH HABE SIE GUT GEKANNT / JE LA CONNAISSAIS BIEN (I|D|F|1965)
mit Jean-Claude Brialy, Ugo Tognazzi, Joachim Fuchsberger, Enrico Maria Salerno, Mario Adorf, Nino Manfredi, Franco Nero, Robert Hoffmann,
Vittorio Gassman, Turi Ferro, Franca Polesello, Véronique Vendell, Barbara Nelli, Solvi Stubing, Rod Dana sowie Karin Dor und Claudio Camaso
eine Produktion der Ultra Film | Roxy Film | Les Films du Siècle | im Nora Filmverleih
ein Film von Antonio Pietrangeli
Diese bedeutende Arbeit von Antonio Pietrangeli kann sicherlich als eines der Prunkstücke des italienischen Neorealismus betrachtet werden, auch wenn "Ich habe sie gut gekannt" seinerzeit eher nur wohlwollend zur Kenntnis genommen wurde, beziehungsweise keinen allzu großen Durchbruch feiern konnte. Die Beschreibung »Meisterwerk« eilt diesem wunderschön fotografierten Beitrag immer wieder voraus, doch spätestens wenn dieser Eindruck dann nach der Erst-Ansicht nicht eingetroffen ist, fühlt man sich vielleicht ein wenig in seiner Skepsis angesichts dieses Superlativs bestätigt. Obwohl der Verlauf mit vielen beachtlichen Feinheiten angereichert wurde und der glasklare Aufbau bemerkenswert ist, außerdem der Eindruck einer sehr subtil und geradlinig angelegten Geschichte entsteht, kann es bei der italienischen Langfassung zu einer schraubzwingenartigen Langatmigkeit kommen, die sich im Schutzgriff einer überaus hochwertigen Inszenierung entfaltet. Die deutsche und wesentlich kürzere Fassung beweist hingegen eine bessere vielleicht sogar zuschauerfreundlichere Dosierung, sodass sich deren Qualitäten und die tatsächlich vereinnahmende Sinnhaftigkeit deutlicher erschließen. Es ist interessant darüber zu spekulieren, wie "Ich habe sie gut gekannt" wirken könnte, falls man sich den Luxus erlaubt, dieses Werk ein halbes Dutzend Mal anzusehen, was bei diesem bemerkenswerten Film definitiv nicht ausgeschlossen ist. Im Grunde genommen ist das gesamte Konzept sehr verständlich aufgebaut, in Form einer Geschichte, die das Leben schreiben könnte, definiert sich daher hauptsächlich über die Darstellung ihrer Personen und unzählige Details, die sich im Endeffekt als nicht uninteressante Variante des dramatischen oder theatralischen Kinos entfalten, sowie eine schwere Anklage, in Form deutlicher Angriffe, die glücklicherweise einmal nicht auf dem handelsüblichen Silbertablett serviert werden. Daher wird eine eher minimalistische Strategie verfolgt, die den Zuschauer aber genauso en detail ansprechen, treffen und bewegen kann, weil sie sehr nah und greifbar wirkt. Genau betrachtet, hat man es hier letztlich mit einem Beitrag zu tun, der wesentlich leichter hätte misslingen können, wenn nicht alle Zahnräder so optimal miteinander funktionieren würden.
Die 1946 geborene Interpretin Stefania Sandrelli verleitet dazu, einen halben Roman schreiben zu wollen. Zunächst sollte die Faszination um die damals erst Anfang 20-jährige Italienerin beschreiben werden; eine Faszination, nach welcher der Zuschauer stets auf der Suche ist, und die - wenn sie sich plötzlich entfaltet - für die ganz großen Momente im Filmleben sorgt. Stefania Sandrelli nur als schön oder attraktiv zu bezeichnen, wäre eine Untertreibung, denn sie vermittelt wesentlich mehr, als man pauschal in irgend einem Film erwarten dürfte. Es fängt mit ihrer Leichtfüßigkeit an, die so natürlich, spontan und unbekümmert wirkt, gipfelt in Sinnlichkeit, die man in jeder simplen Bewegung, in jedem Augenaufschlag und in jedem einzelnen Blick verfolgen kann, nimmt in den Bereichen Lebensfreude, Interaktion, Ernüchterung und Resignation deutliche oder verständlichere Formen an, die mitunter tatsächlich jedem geläufig sein dürften. Adriana wirkt verträumt und in Verbindung mit einer tief melancholischen Note sehr greifbar. Dabei wirft sie aber auch etliche rhetorische Fragen auf. Da dieser Beitrag aber glücklicherweise die Schicksalsfrage ignoriert, fragt man sich bei fortlaufender Zeit womöglich, warum alle sie so gut gekannt haben sollen. Warum stellt diese junge Frau - unbewusst oder nicht - fließbandartige Freibriefe aus? Warum verfolgt sie ihre Ziele so unzureichend und warum zeigen sich keine entscheidenden Lerneffekte? Adriana ist im übertragenen Sinne wie das Gras, das keine Ahnung davon hat, wie grün es eigentlich ist, wie die Blüte, die keinen Schimmer davon hat, wie süß sie wirklich duftet; diesen Dreh haben nur ihre Beobachter, die Interessenten, ihre Männer heraus, die sie aus Eigennützigkeit und Eitelkeit allerdings auch nicht darüber aufklären werden. Stefania Sandrelli zeichnet eine der sichersten Interpretationen, die in derartigen Beiträgen zu finden sind, und deren Aura durchdringend, somit für alle Beteiligten indirekt auffordernd ist. Hochklassig und mitreißend zugleich.Die Darsteller der deutschen Seite wurden so auffällig konträr besetzt, dass es trotz kleinerer Auftritte sehr beachtlich oder wahlweise sehr erfrischend wirkt.
Somit blickt man auf völlig entgegengesetzte Einsatzgebiete von Karin Dor und Joachim Fuchsberger, die angesichts des bestehenden Images vollkommen innovativ und dem Empfinden nach sogar stichhaltiger wirken. Bei Karin Dor handelt es sich beispielsweise um eine Pionierin des deutschen Films, doch ihre Auftritte im Rahmen der europäischen, beziehungsweise internationalen Bühne, sind nicht annähernd bezüglich der Präzision und Aura zu vergleichen. Ob vergleichsweise, global gesehen, oder fernab des Üblichen, sind diese Interpretationen wesentlich interessanter, was man hier von Joachim Fuchsberger vielleicht gar nicht einmal sagen möchte. In diesem Film wirkt seine ebenfalls kurze Darbietung etwas zu derb konstruiert, aber nicht minder interessant. Selbst Robert Hoffmann gibt seiner Figur einen Hauch Ambivalenz, und Véronique Vendell spielt tatsächlich das, was sie eigentlich immer zu spielen hatte, auch wenn sie im Rahmen ihrer eigenen Filmografie hier doch deutlich heraus sticht. Was bei "Ich habe sie gut gekannt" so erstaunlich bleibt, ist im Endeffekt nicht, dass das Szenario von Anfang bis Ende mit großen Namen angereichert wurde, die lediglich nur Gäste bleiben; Es ist die Perfektion, keinen einzigen von ihnen verheizt oder geopfert zu haben, da selbst Darbietungen die nur wenige Minuten umfassen, einen deutlichen, wenn nicht sogar tiefen Schliff offerieren. Auf den ersten Blick scheint die Konstruktion ausschließlich wegen ihrer betörenden Hauptdarstellerin zu funktionieren, doch ein Mosaik braucht definitiv mehrere Steinchen. Es ist also egal, wie man den Film schließlich auffasst. Fakt ist, dass man es mit einem grandiosen Schauspieler-Film zu tun bekommt, der in dieser Hinsicht vielleicht nicht beispiellos geblieben ist, aber im Sinne eines runden Ergebnisses nachweislich meistens nur schwer zu bewerkstelligen war. Ob Jean-Claude Brialy, Mario Adorf, Claudio Camaso, Vittorio Gassman oder Ugo Tognazzi - das Stargast-Karussell dreht sich in schwindelerregender Art und Weise, aber von diesen bemerkenswerten Leistungen sollte man sich ruhig selbst und ohne Fremdeinschätzung überzeugen lassen.
Auf die handwerkliche Inszenierung einzugehen sprengt nahezu den Rahmen, also sei nur kurz erwähnt, welch herrliche, teils sinnliche Bildkomposition hier zum Tragen kommt, oder wie die Musik beinahe Tag und Nacht im Kopf herumschwirrt, und dass man einfach sehr viel in diesem, auf den ersten Blick, unscheinbaren Film geboten bekommt. Es kann passieren, dass das alles selbst für ein herkömmliches Drama zu wenig erscheinen mag, vor allem weil Elemente wie feiner Humor, flapsige Dialoge und schnelle Ortswechsel und Gedankensprünge etwas verwirrend erscheinen. Die Stärken gibt der Verlauf früher oder später preis. Wenig verschachtelt, ohne sprachliche Klippen und ohne unnötige Steigerungen in der Komplexität der Geschichte. Das Fazit des Zuschauers ist wohl letztlich ein sehr einfaches. Jeder glaubt, sie wohl schon einmal, zweimal oder gar mehrmals gut gekannt zu haben, aber im Endeffekt ist das eigentlich überhaupt nicht der Fall, da der Titel des Films ausschließlich eine Umkehrreaktion anbahnt, die etwa folgendermaßen lauten könnte: Ich habe mich gut gekannt. Daher muss SIE nicht unbedingt Adriana, oder Stefania Sandrelli heißen. Der Film wirkt unterm Strich ereignisreich und gut komprimiert, und das melancholische Thema gewinnt durch die packenden Interpretationen an Facetten und Konturen. Ansonsten ist "Ich habe sie gut gekannt" – wenn man es überspitzt ausdrücken möchte – beinahe überqualifiziert, dennoch sollte der Film alleine schon wegen dieser so umwerfenden Stefania Sandrelli angeschaut werden, deren Blick einem trifft wie ein Torpedo. Augenscheinlich erteilt Regisseur Antonio Pietrangeli der Komplexität eine zynische Absage, indem er aus der empfundenen Einfachheit eine erstaunliche Umkehr kreiert und zum tragenden Element avancieren lässt. Letztlich ist Begrifflichkeit »Meisterwerk« nach persönlichen Maßstäben vielleicht nicht ganz erreicht worden, aber das Verständnis dafür, dass viele Fans und Zuschauer Pietrangelis "Ich habe sie gut gekannt" diese Auszeichnung bestimmt mitgeben möchten. Ein stiller Hochkaräter ist jedoch ohne jeden Zweifel entstanden, der die temporäre Seite des Glücks gnadenlos seziert, um im Endeffekt das Wesentliche herauszuarbeiten.