KAMELIENDAME 2000 - Radley Metzger

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Prisma
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KAMELIENDAME 2000 - Radley Metzger

Beitrag von Prisma »



KAMELIENDAME 2000


● CAMILLE 2000 / KAMELIENDAME 2000 (I|1969)
mit Danièle Gaubert und Nino Castelnuovo, Massimo Serato, Peter Chatel, Roberto Bisacco, Philippe Forquet, Silvana Venturelli und Eleonora Rossi Drago
eine Produktion der Spear Productions
ein Film von Radley Metzger

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»Ich war nicht darauf gefasst, einer Frau wie Ihnen zu begegnen!«


Armand Duval (Nino Castelnuovo) verschlägt es aus beruflichen Gründen nach Rom, wo er von seinem Freund Gastion (Roberto Bisacco) in die feine Gesellschaft eingeführt wird. Bei einem Besuch in der Oper begegnet er Marguerite Gautier (Danièle Gaubert), die von allen nur "Kameliendame" genannt wird. Sofort ist er von ihrer Schönheit angezogen, sodass er sich schließlich Hals über Kopf in sie verliebt. Doch die exzentrische Frau hat hohe Ansprüche und bevorzugt hauptsächlich solvente Liebhaber, die ihr ein exklusives Leben finanzieren. Nach einigen Startschwierigkeiten verliebt sich Marguerite sogar zum ersten Mal in ihrem Leben in ihren Verehrer und für beide beginnt eine Zeit des Glücks, welches jedoch nur von kurzer Dauer ist, denn Armand kann das teure Leben und Marguerites geheim gehaltene Drogensucht nicht finanzieren. Als dann auch noch sein Vater (Massimo Serato) auftaucht, um sie zur Rede zu stellen, kommt es zu einem schwerwiegenden Entschluss...

Dieser von Radley Metzger inszenierte Film gilt als eines der skandalöseren Werke der End-Sechziger und trägt die typische Handschrift des amerikanischen Regisseurs, der erneut einen in allen Belangen großartigen Unterhaltungsfilm und darüber hinaus eine übersinnliche Adaption, beziehungsweise Variation eines Klassikers abgeliefert hat. Gerade der europäische Markt wurde mit teils atemberaubenden Progressiv-Beiträgen versorgt, über die man sich heute glücklich schätzen darf, auch wenn seine Filme seinerzeit nicht die Beachtung bekamen, die man ihnen eigentlich schuldig gewesen wäre. Seine Filme mit erotischem Grundgehalt wirken häufig wie Kunstwerke, die so überragend choreografiert wirken, dass man es manchmal kaum glauben kann. Metzgers Gespür für Zeitgeist, oder diesem sogar einen ordentlichen Schritt voraus zu sein, zahlt sich hier vollkommen aus. Auch seine offensive Angriffslust gegenüber dem Publikum wirkt sehr erfrischend. Die fesselnden Bilder und der Inhalt wirken nahezu zeitlos, es ist einfach großartig, was man in "Kameliendame 2000" geboten bekommt. Die Handlung ist wie so häufig zeitlich fiktiv, dennoch entsteht der Eindruck, dass es die Beteiligten tatsächlich geben könnte, oder letztlich geben muss, denn es entsteht das Gefühl, dass man ähnliche Bekanntschaften selbst schon einmal gemacht hat, gleiche Situationen im Grunde genommen schon einmal selbst erlebt hat und die geschilderten, so sicher transportierten Emotionen ebenfalls kennt, wenn auch womöglich nicht in dieser abstrakten Fasson. Aufgrund dieses empfundenen Transfers funktioniert diese erotische Reise trotz zahlreicher Umkehrreaktionen sehr effektiv. Die Exposition ist hier tatsächlich sehr gewagt, wenn auch im geschmackvollsten Rahmen, den man sich vorstellen kann. In diesem Zusammenhang muss die vereinnahmende Präsenz von Danièle Gaubert erwähnt werden, bei deren Verve es einem buchstäblich die Sprache verschlägt.

Die im Jahr 1943 geborene französische Schauspielerin sorgte nicht nur mit ihrer Freizügigkeit, sondern auch immer wieder mit ihrem Privatleben für Schlagzeilen und verstarb bereits 1987, schrecklich früh, im Alter von nur 44 Jahren. Hier ist sie in der Titelrolle zu bewundern, sie übt eine enorm hohe Faszination aus und dies nicht nur auf die Personen des Films bezogen. Ihre Attraktivität geht mit jener von Partner Nino Castelnuovo eine bemerkenswerte, aber vor allem glaubhafte Allianz ein, die Interaktion wirkt symbiotisch, dies in allen Facetten des jeweiligen Verhältnisses. Marguerite ist die Frau für jeden, der sie sich leisten kann. Ihre Fassade wirkt perfektioniert, bis ungeahnte Komplikationen auf sie zukommen. Das unter Umständen gefährliche Prinzip der Liebe auf den ersten Blick, die vor allem die Zeit verkürzt, zeichnet Nino Castelnuovo sehr überzeugend, sehr nachvollziehbar und sehr sicher. Bei allem Sein oder Schein ahnt man dennoch, dass alte Gewohnheiten und Capricen eventuell doch nicht so schnell abgelegt werden können. Für den Zuschauer wirkt diese Konstellation nicht nur berauschend, sondern gleichzeitig verwirrend, was für eine durchgehende Aufmerksamkeit sorgt. Der erweiterte Cast erfreut mit bekannten Gesichtern und jede einzelne Interpretation kommt hier einen Präzisionsauftritt nahe. Alleine schon die Mitwirkung der großartigen Eleonora Rossi Drago - deren Name einfach wie Musik klingt - macht das Anschauen zu einem Muss. Bereits im Herbst ihrer Karriere angekommen, spielt sie die oberflächliche, wenn auch irgendwie mütterlich wirkende Freundin von Marguerite, und es handelt sich erneut um einen Auftritt der bloßen Präsenz einer Schauspielerin, die stets mit den Begriffen Überzeugungskraft und Verlässlichkeit in Verbindung gebracht werden kann. Was allerdings unterm Strich zurückbleibt und den Verlauf dominiert, ist die makellose Schönheit und das unbändige Temperament der Hauptdarstellerin Danièle Gaubert.

"Kameliendame 2000" ist ein besonders packender und in individuellem Sinn fordernder Beitrag des italienischen Kinos der späten Sechziger geworden, verdient daher in jeder Hinsicht Anerkennung. Dieser Film punktet mit herrlichen Bildkompositionen, sinnlichen Veranschaulichungen, die gerne auch einmal progressive Wege einschlagen, die geschmackvolle Abhandlung des Themas wirkt bei aller Herkömmlichkeit dennoch außergewöhnlich und faszinierend. Das Publikum wird zu einer Art innocent bystander in einem Konglomerat aus Realität und Traum, Poesie und Prosa, Bekanntem und Unbekanntem, Anziehendem und Abstoßendem. Wieder einmal beweist die Regie ein beinahe unfehlbares Gespür dafür, präzise Psychogramme der Frau zu erstellen, die hier dem Empfinden nach Anteile einer jeden haben könnte. Was der gefühlvolle und facettenreiche Soundtrack von Piero Piccioni bewirkt, ist schon beachtlich und von handwerklicher Seite lautet das Prinzip, dass es zwar auch klassisch, aber vor allem ausgefallen zugehen soll. Viele der verwendeten Bild-Spiegelungen wirken wie der Blick durch ein verbotenes Kaleidoskop, das Setting nimmt mit viel Fantasie und Liebe zum Detail richtiggehend spektakuläre bis spekulative Formen an. Szenen wie beispielsweise die aus der Sex-Orgie in einer Art Kerker, in dem sich alle Gäste irgendwann in Handschellen oder in der Horizontalen wiederfinden, verbreiten ganz dem Titel des Films entsprechend aber vor allem für damalige Verhältnisse visionäre Tendenzen. Ob man sich das Jahr 2000 damals tatsächlich so vorgestellt hat? Wenn ja, besteht eindeutig Nachholbedarf, und die Gesellschaft müsste sich Rückständigkeit vorwerfen lassen. Mit "Kameliendame 2000" hat Radley Metzger jedenfalls einen atemberaubenden Kunstfilm kreiert, der genüssliche und ketzerisch mit Klischees jongliert und die Oberflächlichkeit sarkastisch umkehrt. Sein Film ist aus so vielen Gründen sehenswert, vor allem aber, weil er auch heute noch begeistert. Einfach nur umwerfend!

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Pa_Nik
Beiträge: 56
Registriert: Mi., 04.11.2020 12:01

Re: KAMELIENDAME 2000 - Radley Metzger

Beitrag von Pa_Nik »

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Rom, High Society, endlose Partys, Drogen, Alkohol, überbordende Dekadenz, Sex, so viel Sex, endlose Möglichkeiten. Frauen, Männer, alles wird konsumiert und korrumpiert. Alles scheint es zu geben, fast alles: Echte Emotionen, Liebe gar, scheint unmöglich. Entweder scheitert es an schlichter Oberflächlichkeit (wunderbar aufgefangen von der traumhaft poppigen Design-Kunststoffausstattung mit ihrem spiegelnden Oberflächen in pompösen Herrenhäusern) und Abhängigkeiten, oder an den monetären Voraussetzungen. Das Drama nimmt seinen Lauf.

"Es gibt wohl nichts auf der Welt, was man nicht mit Geld kaufen kann."

Schöne Menschen in schönen Kulissen tragen schöne Klamotten, oder auch nicht. Die Zeit wird sich mit Exzessen vertrieben; der Versuch, die leere Existenz mit Fetisch-Partys zu übertünchen. Selten sah das wohl besser aus als in diesem besonders visuell aufregenden Film von Radley Metzger. Seine Absichten sind klar erkennbar, doch der flotte Beat auf der Tonspur spült allzu trockene Analyse hinfort, lädt zum mitwippen ein- alles so schön hier. Klassische Eleganz trifft auf Pop-Psychedelik, trifft auf Beziehungsfilm.

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