ORIENTEXPRESS - Carlo Ludovico Bragaglia

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Prisma
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ORIENTEXPRESS - Carlo Ludovico Bragaglia

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ORIENTEXPRESS


● ORIENT-EXPRESS / ORIENTEXPRESS (I|F|D|1954)
mit Eva Bartok, Curd Jürgens, Silvana Pampanini, Folco Lulli, Robert Arnoux, Michael Lenz, Olga Solbelli, Liliane Bert und Henri Vidal
eine Produktion der Fono Roma | La Société des Films Sirius | Meteor-Film | im Schorchtfilm-Verleih
ein Film von Carlo Ludovico Bragaglia

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»So ist niemand mit seinem Schicksal zufrieden!«


Vor Heiligabend muss der Orientexpress einen unplanmäßigen Stopp einlegen, da eine schwere Schneelawine die Gleise blockiert hat. Die Reisenden kommen in einem nahe gelegenen, kleinen Dorf unter. Mit den mondänen Fahrgästen und den provinziellen Dorfbewohnern treffen eigentlich Welten aufeinander, doch man hat schließlich mehr Gemeinsamkeiten, als gedacht. Auch Beatrice (Silvana Pampanini), die stets davon träumte, dass der Zug eines Tages anhalten, der Mann ihrer Träume aussteigen und sie mitnehmen werde, steht plötzlich vor der Erfüllung dieses Gedankens, da der Journalist Jacques (Henri Vidal) ihr den Hof macht, so dass sie die plumpen Annäherungsversuche des Bürgermeisters Dal Pozzo (Polco Lulli) für kurze Zeit vergessen kann. Unter den Gästen befinden sich außerdem die berühmte Sängerin Roxane (Eva Bartok), die sich nach der Ruhe und Idylle eben eines solchen Dorfes sehnt, doch ihr Begleiter Baté (Curd Jürgens) übt auch in dieser Ausnahmesituation Druck auf sie aus. Alle Beteiligten können die Realität für kurze Zeit vergessen, doch was geschieht, wenn der Zug wieder seinen Kurs aufnimmt..?

Der italienische Regisseur Carlo Ludovico Bragaglia inszenierte mit "Orientexpress" einen für damalige Verhältnisse europäisch, wenn nicht sogar international zugeschnittenen Ausstattungsfilm mit großer Starbesetzung, der auch nach über 60 Jahren einen gewissen Charme zu vermitteln weiß. Natürlich wird in diesem Film über Traum und verkappte Realität ordentlich mit Klischees jongliert, so dass die mühsam konstruierten Reibungsflächen in eine empfundene Bedeutungslosigkeit abdriften, aber dennoch wird der geneigte Zuschauer viele Elemente finden, die unmissverständlich ansprechen werden. Die Regie setzt auf Sentimentalitäten und Tragik vom Serviertablett, die spürbare Melancholie und die damit verbundenen sehnsüchtigen Tendenzen wirken einfach, wenn auch überaus wirksam, denn man hatte die richtigen Akteure zur Verfügung. Außerdem wirkt die Inszenierung sehr aufwendig, die Schauplätze erscheinen auch heute noch wie geschaffen für einen derartigen Stoff, der die Träume beflügelt, und trotz des Würgegriffes einer waschechten Schmonzette bleiben sehr gute Momente in nachhaltiger Erinnerung. Was dem Spielfilm wirklich zu Gute kommt, ist, dass er sich deutlich von damals angesagten Heimat- oder Liebesfilmen abheben kann und in zahlreichen Belangen tatsächlich ein wenig offener wirkt. Der Vorspann verteilt die Hauptrollen originellerweise nach den Produktionsländern, so dass jedes von ihnen prominente Vertreter zu bieten hat. Die nominellen Hauptrollen wurden von Eva Bartok und Curd Jürgens übernommen, die ein Jahr später unter großem Medienrummel heirateten. In der tatsächlichen Hauptrolle sieht man allerdings die Italienerin Silvana Pampanini, die den Film mit ihrer aparten Erscheinung und ihrer durchdringenden Präsenz richtiggehend dominieren wird. Mit Henri Vidal oder Folco Lulli waren weitere namhafte Stars mit von der Partie, die den Eindruck mit verstärken, dass es sich um einen klassischen Schauspielerfilm handelt, der zumindest in diesem Bereich spektakulär, und anziehend auf die Zuschauer wirkt.

Insbesondere Silvana Pampanini wird mithilfe einer Aneinanderreihung von Großaufnahmen, melancholischen Dialogen und ihrer eindeutigen Körpersprache zur Projektionsfläche für geheime Sehnsüchte und dem Traum von den großen Momenten im Leben. Konträr dazu sieht man eine feuerrote Eva Bartok, die erneut eine Dame von Welt zum Besten gibt und elegant durch die Kulissen schwebt. Diese beiden unterschiedlichen Frauen treffen sich allerdings am gleichen Punkt, da der Wunsch, aus ihrem bisherigen Leben auszubrechen, im Vordergrund steht. Überhaupt legte man hier die weiblichen Akteure als unübersehbare Sympathieträger fest, und lediglich Folco Lulli und Curd Jürgens sieht man in zweifelhaften Rollen, die dadurch aber auch für einen Ausgleich sorgen. Beide Darsteller hat man allerdings schon dutzendfach aussagekräftiger gesehen, so dass generell zu sagen bleibt, dass die Charaktere wie Schablonen wirken, die nur ganz bestimmte Eindrücke transportieren. Sehnsucht, Integrität, Charme, aber auch Hinterhältigkeit, Gewissenlosigkeit und Naivität. Als der Zug gezwungenermaßen halten muss, erstrahlt der kleine Alpenort in einem ganz ungeahnten Glanz. Man rückt zusammen und träumt die Realität einfach weg, jeder scheint den anderen um das zu beneiden, was selbst nicht Teil des eigenen Lebens ist. Angesichts der Gewissheit, dass der "Orientexpress" schon bald wieder seinen Kurs aufnehmen wird, entsteht eine subtile Grundspannung. Werden Wünsche in Erfüllung gegen, werden Träume wie Seifenblasen zerplatzen? Das alles klärt selbstverständlich der melodramatisch angehauchte Verlauf. Punkten kann Bragaglias Beitrag schließlich durch die schöne Ausstattung vor beeindruckender Kulisse, wo die Zeit für kurze Momente still zu stehen scheint. Im Endeffekt entfaltet der Film seine gewünschte Wirkung und greift von Anfang bis Ende, allerdings muss man sich auch im Klaren sein, was man sehen, beziehungsweise eher nicht sehen will. Insgesamt gesehen handelt es sich bei "Orientexpress" um einen gelungenen Liebesfilm der edleren Sorte, der einen guten Weg zwischen seinem sentimentalen Tenor und der Unterhaltungsambition findet.

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