LIEBE 1962 - Michelangelo Antonioni

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Sid Vicious
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LIEBE 1962 - Michelangelo Antonioni

Beitrag von Sid Vicious »

Regisseur: Michelangelo Antonioni
Kamera: Gianni Di Venanzo
Musik: Giovanni Fusco
Drehbuch: Michelangelo Antonioni, Tonino Guerra
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Vittoria (Monica Vitti) trennt sich von ihrem Verlobten Riccardo (Francisco Rabal). Anfänglich genießt die junge Frau das Alleinsein, fällt allerdings nach nur wenigen Tagen) in eine innere Leere. Als Vittoria den Börsenmakler Piero (Alain Delon) kennen lernt, baut sich in ihr die Hoffnung nach gegenseitiger Sympathie und Zuneigung auf. Es entwickelt sich gar eine Beziehung, die allerdings von beidseitiger Gefühlskälte geprägt und eigentlich zum Scheitern verurteilt ist. Werden die beiden sehr ähnlichen und innerlich verlorenen Personen trotzdem zueinander finden?

„Liebe 1962“ ist der Abschluss von Michelangelo Antonionis Trilogie der – ich sage mal – Entfremdung. Ins Deutsche übersetzt lauten die Originaltitel der drei Filme: „Das Abenteuer“, „Die Nacht“ und die „Die Sonnenfinsternis“. Firmierungen, die eine klare Linie registrieren lassen und dem Inhalt sowie den Ambitionen der Filme gerecht werden. Aus dem Terminus „L’eclisse“ kreierte der bundesrepublikanische Filmverleih den Titel „Liebe 1962“. In den deutschdemokratischen Lichtspielhäusern lief der Film unter dem Titel „Sonnenfinsternis“.

„Liebe 1962“ startet (auditiv) mit dem Song „L'eclisse Twist“ von Mina Anna Mazzini. Eine Komposition, die sich als eine lebensbejahende Tondichtung vorstellt und mit der Schlagermentalität der frühen 1960er Jahre assoziierbar ist. Diese positiv stimulierenden Klänge münden in ein düsteres Klangschema (komponiert von Giovanni Fusco), welches in illusionslose schwarz/weiß Bilder gebettet ist.

Die depressive Stimmung, welche Vittoria und Riccardo (kurz vor ihrer Trennung) durchleben, wird von Gianni di Venanzos Kamera bestmöglich eingefangen. Der Dialog avanciert dabei zu einem sekundären Faktor und reiht sich hinter Mimik, Gestik und Pose der beiden Protagonisten ein. Zudem ist der Raum, in dem sich die beiden Personen aufhalten, von Kälte und Leere gezeichnet. Der folgende Kameraschwenk auf die Außenwelt zeigt Bilder von menschenleeren Straßen. Bildkompositionen, die für die anstehende Trennung zweier Menschen, perfekt komponiert wurden, da sie das subjektive Empfinden, das Verlorensein der beiden Protagonisten authentisch vermitteln. Ich habe die Einladung zu diesem visuellen Genuss mit Vergnügen entgegengenommen, da mich die Bildsprache sowie der begleitende Score blitzartig in ihren Bann ziehen konnten.

Somit ist der anstehende Schauplatzwechsel, die Welt der italienischen Börsenspekulanten, ein nahezu brutaler Spagat. Menschengetümmel, Chaos, Geschrei! Und selbst in einer Gedenkminute klingeln die Telefone unerbittlich weiter. Gier nach Erfolg, das Ziel um jeden Preis voranzukommen. Der krasse Gegensatz zur vorher gezeigten Szenerie. Inmitten des Börsenchaos lebt der Broker Piero förmlich auf. Für ihn ist die Arbeit an der Börse Job und Spiel zugleich. Ein gefühlskalter Mensch, den auch der Zusammenbruch von Existenzen (in seinem Börsenumfeld) kalt lässt. Desinteresse und Abgestumpftheit. Eigenschaften wie man sie auch bei Vittoria findet. So spielen Zufall und Schicksal ihre Karten aus, sodass sich (ausgerechnet) diese beiden Personen über den Weg laufen. Ein Zueinanderfinden wäre möglich, doch geachtet der beiderseitigen Gefühlskälte lässt sich kein gutes Ende prognostizieren.

„Es gibt Tage da ist es mir gleich, ob ich die Zeit mit einem Stück Stoff, einem Buch oder einem Mann vertreibe.“ (Vittoria)

Worte die Gleichgültigkeit, des Verschlossenseins und die Unfähigkeit Gefühle einzugestehen (respektive zu provozieren wie zu evozieren) demonstrieren. Das Leben in einem Trott, der einem monotonen Mechanismus gleich kommt. Dabei lässt Michelangelo Antonioni Gianni di Venanzos Bildkompositionen aus Vittorias Sichtweise sprechen. Eine Perspektive, die für einige Rezipienten äußerst befremdlich erscheinen mag. Anderen kann die Sichtweise jedoch Situationen lancieren, die sie (wenn auch nur in Ansätzen) selbst erlebt haben.

„Liebe 1962“ setzt sich mit den Themen Frigidität und innere Verlorenheit auseinander. Das überzeugende Vermitteln derartiger Ingredienzien ist selbsterklärend von der Klasse seiner Protagonisten abhängig. Alain Delon kann in der Rolle des Brokers Piero die Erwartungen zur „vollsten“ Zufriedenheit erfüllen. Unter dem Strich muss sich der Ausnahmeschauspieler jedoch mit dem zweiten Platz auf dem Siegertreppchen zufrieden geben, denn der erste Rang geht an Monica Vitti, der es gelingt, die Liebesunfähigkeit und die innere Leere des Charakters Vittoria jederzeit authentisch mitfühlen zu lassen. Ihre Leistung ist grandios! Und nebenbei erwähnt, die Frau ist einfach atemberaubend.

Fazit: Ein aussichtsloses und depressives Drama aus der Welt der Zwischenmenschlichkeit, ein bis ins kleinste Detail perfekter Film, deren Protagonisten sowie die Photografie fortwährend glänzen.

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