BLUTIGER SONNTAG - Ricky Tognazzi

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Sid Vicious
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BLUTIGER SONNTAG - Ricky Tognazzi

Beitrag von Sid Vicious »

Regisseur: Ricky Tognazzi
Kamera: Alessio Gelsini Torresi
Musik: Antonello Venditti
Drehbuch: Simona Izzo, Graziano Diana, Ricky Tognazzi, Giuseppe Manfridi
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Principe war (und ist?) einer der führenden Köpfe der Roma Ultras. Doch nachdem er eine zweijährige Haftstrafe verbüßt hat und anschließend in sein altes Umfeld zurückkehrt, stellt er fest, dass sich die Zeiten geändert und alte Vertraute in seinem Revier gewildert haben. So pflegt zum Beispiel sein bester Freund, Red, ein Verhältnis mit Principes Freundin, Cinzia, was der Ex-Knacki vorerst ignoriert. Er will sich primär wieder in die Szene einbringen, um seinen Leaderstatus zurückerobern, denn es steht großes Spiel an, ein Spiel gegen Juventus Turin, ein „Spiel“ gegen die Juve-Drughi…

„Ultra“ startet seine Reise durch die Welt der „extremen Fußballanhänger“ mit schwarz/weiß Bildern. Ein Kurztrip in die Vergangenheit. Eine Zeit in der für Principe und Red noch alles in bester Ordnung war. Zwei Kampfgefährten, die zum knallharten Kern der römischen Hooliganszene gehören. Der Sprung in die Gegenwart zeigt allerdings, dass sich die Zeiten gravierend geändert haben. Principe hat zwei Jahre im Gefängnis gesessen und seine Rückkehr birgt unangenehme Überraschungen, denn Red unterhält seit längerem eine Beziehung Principes Freundin. Demzufolge steht das Wiedersehen der alten Weggefährten unter keinem guten Stern, sodass die Lage zwangsläufig eskalieren muss. Einhergehend rücken die Ambitionen, Motivationen und Ideologien der AS Ultras in den Vordergrund. Der Stolz auf das Fußballteam und ein begleitender Hass, sofern es beim Team nicht läuft und der erhoffte Erfolg ausbleibt.

„Ultra“ wurde 1991 während der internationalen Filmfestspiele in Berlin uraufgeführt. Das „Jahr 1“ nach der Fußball-Weltmeisterschaft in Italien. Eine Phase, die in der Seria A von den beiden Mailänder Fußballclubs sowie dem SSC Neapel dominiert wurde. Für den AS Rom ging es stattdessen bergab und der Club versank im Mittelmaß der Tabelle. Das Team befand sich weit hinter seinen sowie den Ansprüchen der Fans. Principe schwärmt immer wieder von den alten Zeiten der Roma und ihrem großen Star, Paulo Roberto Falcão, dem „achten König von Rom“. Gloriose Geschichten, die Cinzias kleinem Bruder, Fabio, funkelnde Augen bescheren. Doch auch die gegenwärtige sportliche Durchschnittlichkeit präsentiert sich als ein willkommener Grund, um dem angestauten Frust freien Lauf zu lassen. Demzufolge kann es schon mal passieren, dass man die eigene Mannschaft auf dem Trainingsgelände attackiert. In Italien übrigens kein Novum, das man auch nicht (!) allein auf die gern als Vorstadtfaschisten suggerierten Irriducibili von Lazio reduzieren sollte, da es einen Sensationsjournalismus reflektiert, der gnadenlos diesen einen Punkt fixiert. Vergleichbar mit dem Millwall-Effekt, denn was bei anderen britischen Clubs zur Randnotiz mutiert, wird bevorzugt mit fetten Millwall-Lettern auf den Titelseiten der englischen Tagespresse ausgeschlachtet.

Tognazzi beschreitet erfreulicherweise den objektiven Weg und verzichtet auf die Message, dass die Gewalt nur von einem bestimmten „Fankreis“ ausgeht, für ihn ist diese allgegenwärtig, sie beliefert den Krieg (zu dem mindestens zwei Parteien gehören) in und um den Fußballstadien, den brutalen Schlachten an den „Blutigen Sonntagen“. Wer in den 1990ern DSF (Live-Spiele und Kurzberichte aus der Seria A) geschaut hat, der wird diese Wortkreation (ungeachtet der historischen Ereignisse) zwangsläufig das ein oder andere Mal in Verbindung mit Fußballrandalen gehört haben.

Neben ihrer bedingungslosen Treue zum AS verbindet Principe, Red, Smilzo, Nazi und Co. die Liebe zu ihrer Heimatstadt Rom. Ein Umzug in eine andere Stadt wäre einem Verrat gleichgestellt. Die Stadt der sieben Hügel und deren Rot Weißer Club sind die wichtigsten Bestandteile ihres Lebens. Als Principe in einer Stresssituation darauf hinweist, Red würde nach Lamezia Terme ziehen, löst dieses einen gewaltigen Missmut aus. Die Identifikation mit den beiden erwähnten Komponenten (Stadt, Verein) ist das Maß aller Dinge, sie definieren den Lebensinhalt der Roma Ultras.

Was Tognazzi leider nicht anspricht: viele Ultras wie die von Lazio, Atalanta, Fiorentina, Hellas und Inter sind seit den 1970ern in die politischen Auseinandersetzungen der rechts- und linksextremen Szene in Italien verwickelt und führen das fort, was mit den Studentenkämpfen in den 1960ern begann. Man sollte übrigens nicht davon ausgehen, dass alle linksgerichteten Ultras in Italien ähnliche Vorstellungen haben, wie es beim linken Fußballblock in Deutschland oder Spanien der Fall ist, da sie (die linken Fußball-Ultras in Italien) sich teilweise über den Kommunismus sowie Stalinismus definieren und nicht unbedingt weniger rassistisch verlangt sind als es bei den rechten Gruppierungen der Fall ist. Wer in die Thematik etwas eintauchen will, um deren Ursprünge kennen zu lernen, dem empfehle ich den Audiokommentar zu „San Babila - Ein sinnloses Verbrechen“, wo Stiglegger unter anderem anspricht, wie die Siegermächte den Faschismus in Italien bewerteten. Spannendes Thema!

Nachdem wir im ersten Drittel des Films die wichtigsten Charaktere kennen lernten, folgt die Zugfahrt nach Turin. Eine Reise, die die Situation zwischen Principe und Red immer weiter eskalieren lässt und deren beidseitiger Hass auf die Mitstreiter übertragen wird. Man ist also in bester Angriffslaune, bevor es zum Aufeinandertreffen mit den Juve-Drughi kommt. Eine Massenprügelei, welche von einer Handkamera äußerst authentisch eingefangen wird, denn es geht vor dem Stadio delle Alpi extrem heftig zur Sache. Steine fliegen durch die Lüfte und Messerklingen schneiden sich in das Fleisch der jeweiligen Kontrahenten. Das Ganze wirkt ebenso faszinierend wie extrem beängstigend. Eine Konstellation von der Lexi Alexanders 2005 gedrehter Film „Hooligans“ nur träumen kann, denn die Überzogenheit und Klischeehaftigkeit wie Alexander sie darstellt, ist im Vergleich zu dem Realismus, den „Ultra“ zu bieten hat, nicht mehr als ein alberner, visueller Kindergarten.

„Das ist nicht das Ende. Das ist verflucht noch mal nicht das Ende.“ (Principe)

Demnach schert sich „Ultra“ auch einen Dreck um das anstehende Fußballspiel und dessen Ausgang. Nach dem Krieg auf den Straßen verlagert sich der Kampf in den Innenraum des Stadions. Der dortige Schauplatz ist ein WC in dem die Roma Ultras (mit der Bereitschaft ihre Gegner totzuschlagen) Wasserrohre aus den Wänden reißen. Die Atmosphäre inmitten der demolierten Bedürfnisanstalt ist durchweg bösartig und extrem beängstigend, parallel dazu ziehen die Protagonisten, allen voran Claudio Amendola und Ricky Memphis, eine einzigartige Show ab. Ob Teile der Darsteller aus dem knallharten Kern der Roma Ultras stammen ist mir nicht bekannt, es bleibt allerdings festzuhalten, dass sich alle Beteiligten zu 100% mit ihren Rollen identifizieren.

Fazit: Spannend, intelligent und saubrutal. Ugo Tognazzi liefert den!!! Film über Hooliganismus, welcher nach den Gründen beziehungsweise dem Ursprung der Gewalt sucht, ohne sich dabei zu exploitativen Praktiken verleiten zu lassen.
https://italo-cinema.de/italo-cinema/it ... er-sonntag
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