DER LETZTE DER WIKINGER - Giacomo Gentilomo

Von Herkules bis zu den drei Musketieren: Italienische Geschichtsstunden der abenteuerlichen Art
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Sid Vicious
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DER LETZTE DER WIKINGER - Giacomo Gentilomo

Beitrag von Sid Vicious »

Originaltitel: L'ultimo dei Vikinghi
Regisseur: Giacomo Gentilomo
Kamera: Enzo Serafin
Musik: Roberto Nicolosi
Drehbuch: Arpad DeRiso, Luigi Mondello, Guido Zurli, Giacomo Gentilomo
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Harald und Guntar kehren nach längerer Abwesenheit in ihr Dorf zurück, wo sie das Ergebnis eines Massakers erwartet, welches dem machthungrigen Sven geschuldet ist. Harald schwört Rache, erschwindelt sich, getarnt als Botschafter des dänischen Königs, Svens Vertrauen sowie den Zugang zu dessen Festung. Dort lernt er Svens Cousine Hilda, die dem dänischen Thronfolger versprochen ist, um das Bündnis zwischen Dänemark und Norwegen zu stärken, kennen und lieben. Doch Haralds Maskerade droht zu fallen, denn Haakon, ein gerissener Recke aus den Reihen der Wikinger, will Harald vom Thorn stürzen, um sich selbst zum Führer der Nordmänner zu küren.

Wikingerfilme lassen sich im italienischen Film-Universum sehr selten ausmachen, aber das was die Italiener auf den Sklavenmarkt warfen, kann sich durchaus sehen lassen. So erklärte beispielshalber Mario Bava 1961 die Kessler-Zwillinge zu einem Teil seiner „Rache der Wikinger“ und hinterließ fünf Jahre später „Eine Handvoll blanker Messer“ auf der nordischen Schlachtplatte. Ein Jahr zuvor, 1965, definierte Emimmo Salvi den „Steinernen Wald“ als jenen Schauplatz, auf dem die furchtlosen Nordmänner gegen die Helden der Nibelungensage in den Kampf zogen. In den genannten Vehikeln war stets derselbe Hauptmime aktiv, ein Mann, der in der Bundesrepublik neben Manolito Montoya zum beliebtesten Charakter (Buck Cannon) der Western-Serie „High Chaparral“ reifte: Der großartige Cameron Mitchell. Ein überaus sympathischer Filmrecke, der manch Italo-Vehikel, Giacomo Gentilomos „Der letzte der Wikinger“ inbegriffen, bereichern konnte.

Aufgrund seiner raren Präsenz innert der Lichtspiele (!) ist der Wikingerfilm ein nahezu brach liegendes Barbarengebiet zu dem mir keine Konstruktionspläne in Form von entsprechender Genreliteratur vorliegen. Scheinbar hielt es niemand für notwendig Grundlegendes zu verfassen und einhergehend in die Abhandlungen über Peplum, Ritter-, Mantel und Degen- wie Piratenfilme einfließen zu lassen. Die Gestaltungen der Figuren und Charaktere, die in den 1960ern im Kielwasser von Richard Fleischers „The Vikings“ segelten, sind denen der genannten vier (Sub-)Genres freilich nicht unähnlich, was sich am Beispiel „Der letzte der Wikinger“ auch ganz simpel belegen lässt. Als da wären: Harald, der zentralisierte Held, der den Tod seines Vaters, der ohne Schwert in der Hand starb und somit nicht in Wallhall einziehen konnte, rächen will. Der engste Vertraute des Helden, Londborg, der seinem Anführer nicht von der Seite weicht und stets um dessen Wohl besorgt ist. Der jüngere Bruder des Helden, Guntar, ein unbeschwerter Zeitgenosse, der zum leichtfertigen Handeln neigt und damit mehr Schaden als Nutzen anrichtet. Die Hetzerin, die den Wikinger Haakon zum Verrat anstiftet, womit zugleich die Rolle des Verräters definiert ist. Der Böse, Sven, ein grenzdebiler wie skrupelloser Feigling, der fortwährend seine Untertanen in den sicheren Tod schickt. Das love interest, Hilda, die Cousine des Bösewichts, die sich in den Helden verliebt und zwischen die Fronten tritt.

Obwohl den Verantwortlichen ein niedriges Budget zur Verfügung stand, um den umrissenen Filmcharakteren eine attraktive Spielwiese zu liefern, konnten sie mithilfe der geläufigen Tricks ein ordentliches Resultat erzielen. Demgemäß verzichtet die Kamera (während der Seeschlacht in der Filmauftaktphase) auf Weit- und Totaleinstellungen und präsentiert die Kampfszenen fortwährend in Halbnah, Nah- und Großaufnahmen, um die kostengünstigen, aber liebevoll gestalteten Studiokulissen taktisch klug zu kaschieren. Das finale Gefecht wurde nach demselben Muster fotografiert wie montiert, sodass Fotografie und Montage eine erfolgreiche Augenwischerei erwirk(t)en.

Zwischen umrissenen Auftakt- und Abschlussgefecht liegen selbstredend die geläufigen hierarchischen Strukturen, die bei den Wikingern ebenso üblich sind wie die flankierenden Intrigen, welche an den Grundfesten der jeweiligen Machtinhaber rütteln. Demnach werden die Erfolgsaussichten von Haralds Rachefeldzug stets vom einäugigen (möglicherweise ein Wink in Richtung Odin, der sein Auge opferte, um Weisheit zu erlangen) Haakon gefährdet. Das Intrigenspiel konnte mir sehr viel Freude bereiten, was allerdings nicht nur den beiden genannten Charakteren (Harald und Haakon) verpflichtet ist. So sorgt Giorgio Ardisson in der Rolle von Haralds Bruder, Guntar, für ein überzogenes und nahezu putziges Spiel, mit dem er sich freudestrahlend (wie das kontinuierlich grinsende Honigkuchenpferd) und vollkommen übermotiviert an jedem Hindernis blaue Flecken einfängt und schlussendlich in das eigene Verderben stürzt. Ich mag diese unüberlegt handelnden Enthusiasten, die sich in vielen italienischen Historienvehikeln rum treiben, recht gern, da sie mir immerzu ein Lächeln abgewinnen können, was sie einerseits adelt und andererseits vom klassischen swashbuckler, dessen halsbrecherische Aktionen in der Regel von Erfolg gekrönt sind, divergieren lässt. Darüber hinaus möchte ich das Spiel von Edmund Purdom in der Rolle des Sven (eine blaublütige Knallschote mit den Qualitäten eines Alleinunterhalters, der Hektiker, Choleriker, Sadist und Feigling in sich vereint und dessen Optik wie Mimik an Mister Bean erinnert) anerkennend apostrophieren. Nebst dem grenzdebilen Blaublüter und wilden, heidnischen wie unbeherrschten Wikingern offeriert der Film manch schöne Bildkompositionen, welche in künstlichen Bodenebel getaucht und von einem bedrohlichen Firmament gerahmt sind. Inmitten des feschen visuellen Rahmens findet sich sogar ein Plätzchen für die Gorebauern-Fraktion, deren niedere Instinkte per Feuerfolter und Kreuzigung zumindest eine Teilbefriedigung erhalten.

Fazit: Der Schrei nach Rache tönt längst nicht so laut wie der Verzweiflungsschrei des Aktionismus. Rachefeldzüge müssen halt gefährdet sein, sonst kommen sie beim Zuschauer erst gar nicht an, denn der Einheitsbrei des Alltags, jenes Leben nach der Stechuhr, hat in einem Wikingerlichtspiel ja mal gar nichts verloren! So schreiten Harald und Guntar der Übermacht entgegen und lassen Kampf und Aktionismus zur Katharsis führen, auf das die Wikingerwelt schon bald wieder rein sein wird - und zwar auf Erden wie in Walhall! In Erinnerung bleibt ein niedrig budgetierter, aber kontinuierlich unterhaltender Film, der beweist, dass die Italiener ein Händchen für Wikingerfilme besaßen. Schön!
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